Blinde Seele: Thriller (German Edition)
wollte nicht über ihre Augen reden, sodass Grace viel Zeit blieb, von ihrer Reise zu erzählen.
»Sam könnte dich das nächste Mal begleiten«, meinte Saul, als Grace zu Ende erzählt hatte.
»Oh nein. Ich könnte ihr in die Quere kommen«, warf Sam ein. »Die hübschen jungen Männer abschrecken.«
Grace machte ein verächtliches Geräusch.
»Wie hieß er gleich, Gracie?«, zog Sam sie auf.
»Soll das heißen, es gab da jemanden?«, fragte Cathy.
»Tu doch nicht so überrascht«, sagte Mildred.
»Bei einer schönen Frau wie Grace«, bemerkte David, »ist das fast unvermeidlich.«
»Jetzt hört schon auf«, sagte Grace.
»Guckt mal, sie wird rot!« Saul lächelte.
»Jetzt erzähl schon«, drängte Mel.
»Es gibt nichts zu erzählen«, sagte Grace. »Sam zieht mich nur auf.«
»Er hieß Thomas Chauvin«, sagte Sam. »Ein Franzose.« Er grinste. »Offenbar sind er und Grace sich in Zürich ständig über den Weg gelaufen …«
»Zürich ist eine kleine Stadt«, warf Grace ein.
»… und dann hat Gracie ihm das Leben gerettet«, fuhr Sam fort.
»Das ist doch Unsinn«, sagte sie.
»Jetzt möchte sogar ich mehr darüber erfahren«, schaltete Mildred sich ein. »Dabei bin ich nicht annähernd so neugierig wie der Rest dieser Familie.«
»Es war nichts«, sagte Grace. »Er hat die Straße überquert und ist über ein Gleis gestolpert. Ich bin zu ihm gelaufen, um ihm zu helfen. Mehr war da nicht.«
»Sie vergisst zu erwähnen, dass in diesem Augenblick eine Straßenbahn auf sie zugerast kam«, sagte Sam.
»Du lieber Himmel, Grace! Das hört sich ja gefährlich an«, rief David.
»War es aber nicht«, sagte sie. »Der Fahrer hat rechtzeitig gebremst.«
»Aber das konntest du doch nicht wissen«, warf Cathy ein. »Das war ganz schön riskant.«
Sam sah die Verwirrung in Cathys Augen, deren Kornblumenblau Grace’ Augenfarbe so verblüffend ähnelte, dass Fremde sie immer für leibliche Mutter und Tochter hielten.
»Ach, es war wirklich nichts«, beschwichtigte Grace sie.
»Nach dem, was wir alles durchgemacht haben«, sagte Cathy, »dachte ich, du würdest es besser wissen.«
»Man kann einen anderen Menschen in Not doch nicht allein lassen«, sagte Mel, »wenn man etwas tun kann, um zu helfen.«
»Und wenn die Straßenbahn nicht gebremst hätte?«, fragte Saul.
»Hat sie aber«, sagte Grace.
»Vielleicht sollten wir das Thema wechseln«, schlug David vor.
»Kann ich nicht noch die Blumen erwähnen?«, fragte Sam.
»Du lieber Himmel«, seufzte Grace.
41.
Um Viertel nach drei öffnete in North Miami Beach eine junge Frau ihre Wohnungstür und ließ zwei Besucher herein, auf die sie gewartet hatte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich freuen soll oder nicht«, sagte sie.
»Viele Kunden werden ein bisschen nervös«, sagte einer der Besucher, »aber dazu besteht wirklich kein Grund.«
Sie gingen ins Wohnzimmer, um alles herzurichten.
»Wenn Sie ein bisschen angespannt sind«, sagte der andere Besucher, »haben wir genau das Richtige für Sie. Eine Art Tee aus einem Kraut, das ausschließlich in Guatemala wächst.«
»Wir reden hier doch nicht von Rauschmitteln, oder?«, vergewisserte sich die junge Frau.
»Ich kann Ihnen die Packung zeigen, wenn Sie möchten«, sagte der eine Besucher. »Haben Sie Honig im Haus? Mit Honig schmeckt es wunderbar.«
*
»Ich fühle mich etwas seltsam«, sagte die junge Frau wenig später.
»Bei empfindlichen Menschen wirkt der Tee manchmal stärker. Aber Sie können ganz unbesorgt sein, das wird sich bald wieder legen.«
»Sind Sie sicher?«
»Entspannen Sie sich. Genießen Sie es.«
Die schönen blauen Augen der Frau schlossen sich.
Sie war bereits halb bewusstlos, als die beiden Besucher ihr ins Schlafzimmer halfen.
Das schon vorbereitet war.
Das Letzte, was sie mitbekam, war die Behaglichkeit ihres eigenen Bettes.
Die Kissen unter ihrem Kopf fühlten sich seltsam an, aber …
»Es ist Zeit«, sagte einer der Besucher.
»Ich will nicht«, sagte der andere. »Es erscheint mir nicht richtig.«
»Es ist genau richtig«, beharrte der andere. »Es ist perfekt. Tu es.«
Die junge Frau auf dem Bett, die jetzt schlief, stöhnte leise.
»Tu es.«
42.
Die beiden Detectives waren für ein Arbeitsgespräch unter vier Augen in ihr Büro zurückgekehrt.
Felicia stand noch immer ganz oben auf Martinez’ Liste.
»Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein verkorkstes vierzehnjähriges Mädchen der gesuchte Killer ist, gegen null geht. Aber wie
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