Blinde Seele: Thriller (German Edition)
auf Toni zutrat. »Ich habe mich gefragt, ob ich dich nach Hause fahren könnte.«
»Danke«, sagte sie, »aber ich bin mit dem eigenen Wagen da.«
Ihr leises Lächeln war unecht, aber auch das lag vermutlich an den Schmerzen.
»Ist es eine Migräne?«, fragte Sam, noch immer leise, mit Rücksicht auf die Probe.
Toni nickte. »Entschuldige mich.«
Sie entfernte sich vom Tisch und von Sam, ging vorbei an den Sängern auf Tyler Allens Rasen und auf den Fußweg zu, der zur Vorderseite des Hauses und zur Straße führte.
Sam begriff, dass sie ging. Ohne ein Wort zu Linda oder jemandem sonst.
Vielleicht war es schon einmal vorgekommen – Sam hatte schließlich seit ein paar Jahren nicht mehr in der Truppe gesungen –, aber er konnte sich nicht erinnern, dass Toni jemals vor dem Ende einer Probe gegangen war.
Und obwohl er sich noch immer nicht ganz sicher war, warum, kletterte der Pegel seiner Ahnung wieder auf 7.0.
Nachdem er ungefähr eine Minute gewartet hatte, folgte er Toni.
Die Rücklichter ihres kleinen Hondas waren noch zu sehen, als sie aus dem Lime Court abbog.
Sam stieg in seinen Saab, ließ den Motor an und fuhr ihr hinterher.
92.
Grace war angespannt.
Vielleicht, dachte sie, lag es an ihrer Besorgnis, Thomas Chauvin könnte beschließen, noch einmal aufzutauchen. Was das anging, war sie doppelt froh, dass der kleine Joshua drüben in Sunny Isles blieb, weit weg von möglichen Spannungen.
Felicia Delgado ging ihr ebenfalls durch den Kopf.
Und die Enttäuschung darüber, dass ihr Vater sie noch nicht wieder angerufen hatte.
Aber daran konnte sie nichts ändern.
Sie ging nach oben, ließ Wasser in die Badewanne ein und zündete eine Aromatherapiekerze an.
Ihr wurde klar, wie sehr sie Sam und Joshua vermisste, doch sie schämte sich dafür, denn ihr kleiner Sohn war glücklich und behütet bei ihrer Schwester. Und während Sam wieder nach Hause kam, würde Claudias Ehemann nie mehr zurückkehren.
Und was Thomas Chauvin anging, hatte der Franzose sich zumindest bis jetzt nicht wieder blicken lassen. Falls er doch auftauchte, würde sie nicht an die Tür gehen.
Ganz einfach.
93.
Auf dem South Dixie Highway in Richtung Norden versuchte Sam sich darüber klar zu werden, weshalb er Toni Petits Wagen folgte.
Die Frau hatte nichts Unrechtes getan, weder bei Tyler Allen zu Hause noch auf der Straße. Okay, sie hatte ein paar Mal das Tempolimit überschritten, aber das waren geringfügige Verstöße. Ihr Fahrstil war in keiner Weise auffällig.
Wahrscheinlich hatte sie keine Ahnung, dass Sam ihr folgte.
Genauso wenig wusste Sam, warum er es tat.
Da war nur dieses Gefühl, dass irgendetwas nicht mit ihr stimmt. Irgendetwas Unerklärliches sagte Sam, dass Toni Petit vielleicht etwas über Billies Verschwinden wusste.
Was hatte diesen Ausdruck von Verzweiflung in ihrem Gesicht ausgelöst, nachdem er ihr ein paar Fragen über Billie gestellt hatte? Oder hatte es gar nichts mit Billie zu tun gehabt? War es nur eine Stressreaktion auf ihre Migräne gewesen?
Aber Kopfschmerzen konnten nicht der Grund dafür sein, dass sie nach ein paar harmlosen Fragen so schnell Reißaus genommen hatte.
Nur dass Toni nicht wirklich Reißaus genommen hatte, spann Sam den Dialog in seinem Kopf fort. Sie hatte sein Kostüm genommen – hatte es nicht wieder eingepackt, was ungewöhnlich, aber kein Verbrechen war – und war aus der Garage in den Garten gegangen, wo sie Pillen genommen hatte, vermutlich gegen die Schmerzen. Dann war sie auf die Straße gegangen , nicht gerannt, und in ihren Wagen gestiegen.
Und jetzt fuhr sie nur ein klein wenig schneller, als erlaubt war.
Aber wer tat das nicht hin und wieder?
Trotzdem beschloss Sam, Martinez anzurufen, während der Honda weiter auf der I-95 nach Norden fuhr.
Die Macht der Gewohnheit bei ihnen beiden, selbst außer Dienst, sich in unerwarteten Augenblicken wie diesem beim jeweils anderen zu melden.
Sam rief ihn auf seinem Handy an.
»Ich bin noch im Büro«, sagte Martinez. »Ich warte noch ein bisschen für den Fall, dass ich doch noch Informationen über unseren fotografierenden Kumpel bekomme.«
»Gib’s auf«, sagte Sam. »Chauvin ist mein Widerling, nicht deiner.«
»Und ich dachte, wir teilen uns alles.«
»Könntest du für mich ein Autokennzeichen überprüfen?«
»Klar. Schieß los.« Martinez notierte sich das Kennzeichen. »Worum geht’s?«
»Mit neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit um gar nichts. Ist nur eines meiner Bauchgefühle.«
»Wer
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