Blinde Seele: Thriller (German Edition)
bewegte sich.
Kaum mehr als eine leichte Drehung.
Sam sah, wie sich ihr Abzugsfinger krümmte.
»Nein!« , brüllte er und stürzte sich auf sie.
Er spürte die Wucht des Schusses, spürte, wie seine Ohren taub wurden.
Kate Petit lag neben ihm auf dem Boden.
Blut quoll aus ihrer Schläfe.
»Es tut mir furchtbar leid«, hörte er Toni noch einmal sagen, ganz leise diesmal.
Sam starrte zu ihr hoch, sah, wie der Colt sich drehte, wie sie die Mündung auf die eigene Stirn richtete. Er sprang auf, stürzte sich auf sie und entriss ihr die Waffe. Dann war auch Martinez bei ihr und drehte ihr die Arme auf den Rücken.
»O Mann«, stieß er hervor, während er Toni Handschellen anlegte.
Ein lautes Krachen erschütterte den Raum, als die Haustür eingetreten wurde. Special Agent Joe Duval stürzte ins Zimmer, die Waffe in beiden Händen, bereit zu feuern.
»Schön, dich zu sehen«, sagte Sam. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Duval ließ blitzschnell den Blick in die Runde schweifen, entspannte sich und ließ die Waffe sinken. »Alles in Ordnung mit euch, Jungs?«
»Alles okay«, sagte Martinez.
»Bitte.« Toni Petits Stimme war verzweifelt, ihr gequälter Blick auf Sam gerichtet. »Bitte erschieß mich, Sam.«
Sam holte tief Luft. Sein Puls beruhigte sich allmählich. »Keine Chance«, sagte er zu ihr.
»O Gott.« Toni zitterte am ganzen Körper. »Wenn du es nicht tun willst, lass es mich bitte selbst tun.« In ihren Augen lag ein stummes Flehen. »Ich habe meine Schwester erschossen, ich will nur noch sterben.«
»Zuerst musst du uns ein paar Fragen beantworten«, sagte Sam.
Er kniete sich wieder neben Kate, überprüfte ihren Puls, schüttelte den Kopf und nahm ihr dann vorsichtig die dunkle Brille ab.
Beide Augen der Toten waren geschlossen. Sam sah eine alte, hässliche Narbe, die von ihrer linken Augenbraue bis hinunter zum Wangenknochen verlief.
Die Hinterlassenschaft der Heugabel, nahm er an, während Toni zu schluchzen begann.
»Verstärkung ist unterwegs«, sagte Duval. »Kann mich irgendjemand vielleicht aufklären?«
Keinen halben Meter von der toten Frau entfernt begann Thomas Chauvin, der noch immer auf dem Teppich lag, leise zu stöhnen. Sam trat auf ihn zu, ging in die Hocke und besah sich Chauvins Arm, wobei er ihn nicht allzu sanft anfasste. »Sie werden’s überleben, und Sie haben verdammt viel Glück gehabt.«
»Ich habe Ihnen das Leben gerettet«, sagte der Franzose gekränkt.
»Was haben Sie eigentlich geglaubt, was Sie tun?«, fragte Sam. »Bei irgendeinem Fantasyspiel mitmachen? Sie sind ein Vollidiot, Chauvin.«
»Das ist noch längst nicht alles«, sagte Martinez.
Und dann, Toni Petit noch immer fest im Griff, begann er Meldung zu machen.
Sam richtete sich auf und schaute Toni an.
»Wo ist Billie?«, fragte er.
125.
»Kannst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragte Grace.
Sie ging so sanft wie möglich vor.
»Ich bin aus dem Haus gerannt«, sagte Felicia. »Hab gesagt, ich würde vor der Schule irgendwo unterwegs frühstücken. Meine Mom wollte mich hinbringen, aber sie war noch nicht angezogen, daher habe ich ihr gesagt, sie soll sich nicht die Mühe machen. Ich habe mir meine Tasche geschnappt und die Haustür geöffnet, und sie hat gesagt, ich müsste mich hinbringen lassen. Ich wusste, dass sie nur versucht hat, geduldig zu sein, und dass sie sich nicht streiten wollte, aber das war mir egal. Ich bin einfach gegangen und hab die Tür hinter mir zugeknallt, so fest ich konnte.«
Grace konnte den Widerhall beinahe hören, konnte seine verheerenden Folgen in Felicias Miene sehen. Ein ganz gewöhnlicher Streit, der jetzt für immer zu etwas erhoben war, was Felicia wie die schlimmste Sünde vorkommen musste, die sie gegen ihre Mutter begehen konnte.
Es musste unerträglich sein.
»Sie hatte natürlich recht«, fuhr Felicia fort, »ich musste mich hinbringen lassen, denn es war zu weit zu Fuß. Aber ich wollte meine Armen Ritter bekommen, und wenn es mich umbringt.«
Sie verstummte, senkte den Kopf, schluchzte leise.
»Red weiter«, forderte Grace sie behutsam auf.
»Ich hab mein Frühstück bekommen«, sagte Felicia ganz leise, »in einem Café an der 71. Straße, und ich hab es auf meinem Teller liegen sehen, und ich wusste, dass ich es nicht essen konnte. Aber ich saß trotzdem dort und hatte Mitleid mit mir selbst, wie so oft …«
Mit zitternden Händen setzte sie ihre Sonnenbrille schließlich wieder auf. Versteckte sich wieder hinter ihrer Maske.
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