Blinde Seele: Thriller (German Edition)
Hände und Arme und fühlte, wie kalt sie waren. Er wusste, dass sie wie betäubt sein mussten. »Es tut mir schrecklich leid.«
Er war froh, dass es wenigstens in einem Punkt kaum noch Zweifel geben konnte.
Black Hole war erledigt.
127.
»Ich habe sie gesehen, als sie aus unserer Auffahrt kamen.«
Felicia starrte noch immer in die Nacht hinaus.
»Sie kamen mir irgendwie bekannt vor, aber ich wusste nicht, woher. Damals nicht.« Sie hielt einen Augenblick inne. »Nicht bis heute . Bis vor ein paar Stunden.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht warum, aber auf einmal ist mir wieder eingefallen, wo ich die beiden schon mal gesehen hatte.«
Grace wartete.
»Sie saßen an dem Tag im Wartezimmer, als meine Mom und ich bei diesem Arzt waren. Sie sind mir dort nur deshalb aufgefallen, weil ich dachte, eine von ihnen könnte blind sein.«
Noch mehr Fakten, wusste Grace, die Sam dringend brauchte.
»Aber an dem Morgen, als ich wieder nach Hause kam und die beiden sah, stand ich vollkommen still auf dem Gehsteig und wartete, während sie in ihren Wagen stiegen. Es war ein schwarzer SUV. Die Frau, von der ich dachte, sie könnte blind sein, stieg als Erste ein, und die andere stieg auf der Fahrerseite ein, als …« Felicia ballte die Fäuste. »Sie hat mich gesehen. Sie hat gesehen, wie ich sie beobachtet habe. Und mir war sofort klar, dass sie wusste, wer ich bin.«
Sie wandte sich um, blickte Grace an.
»Sie hat mich einen Moment lang angestarrt, und dann hat sie einen Finger an die Lippen gelegt, so.« Sie hob den rechten Zeigefinger, legte ihn senkrecht an den Mund. »Und dann hat sie denselben Finger nacheinander auf beide Augen gelegt.« Felicia holte zitternd Luft. »Damals habe ich nicht verstanden, was das sollte. Ich habe erst später darüber nachgedacht. Aber in dem Augenblick wollte ich nur noch ins Haus und mich mit meiner Mom versöhnen.«
Sie verstummte wieder, ihre Lippen bebten.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich neben Sie setze?«, fragte sie dann.
»Natürlich nicht.« Grace machte ihr Platz.
Felicia setzte sich langsam und nahm ihre Brille ab, schaute Grace aber nicht an.
»Ich habe mir selbst aufgesperrt.« Sie sprach so leise, dass Grace sich anstrengen musste, um sie zu verstehen. »Mit meinem eigenen Schlüssel. Ich bin hineingegangen, in die Diele, hab die Tür hinter mir geschlossen und gerufen.« Sie schauderte. »Ich habe zweimal gerufen. ›Mama? Mama?‹ Und dann hatte ich plötzlich so ein Gefühl, so ein grässliches Gefühl.« Ihre Stimme wurde wieder lauter. »Ich bin in ihr Schlafzimmer gegangen. Ich glaube, ich habe zuerst angeklopft.« Sie nickte. »Dann habe ich die Tür aufgemacht.«
Grace wurde von Mitleid und Erschrecken übermannt.
»Und dann habe ich gesehen, was sie ihr angetan hatten. Ich wusste sofort, dass sie es gewesen waren. Aber zuerst bin ich zu ihrem Bett gegangen. Ich war mir nicht sicher, ob sie tot war oder nicht, und sie hatte diese seltsamen kleinen weißen Dinger auf dem Gesicht, über den …«
Über den Augen.
Grace erinnerte sich, wie Sam ihr von den kleinen Spitzendeckchen erzählt hatte.
Ihr wurde flau im Magen.
»Mehr als alles andere auf der Welt wollte ich, dass Mama nicht tot ist, damit ich ihr sagen kann, wie leid es mir tut und dass ich sie liebe. Aber dann habe ich sie angefasst …« Sie schüttelte den Kopf. »Da war so viel Blut.« Inzwischen war ihre Stimme nur noch ein Flüstern. »Ich weiß nicht mehr, was als Nächstes passiert ist, nur dass ich versucht habe, sie zu halten. Aber dann ist eins von diesen Dingern runtergefallen …«
»Ist ja gut«, sagte Grace.
»Ich weiß nicht genau, aber ich glaube, ich hab’s wieder zurückgelegt, denn ich konnte nicht … ich weiß nicht …«
»Ist ja gut«, sagte Grace noch einmal.
Normalerweise, wenn ein Patient in einem entscheidenden Moment ins Stocken kam, ließ sie ihn innehalten und ermunterte ihn dann, fortzufahren, aber sie hatte das Gefühl, dass es besser war, in Felicias’ Fall eine Zeit lang einen Gang zurückzuschalten, denn was das Mädchen an jenem Morgen im Schlafzimmer ihrer Mutter gesehen hatte, war selbst für Sam zu viel gewesen, einen abgehärteten Mordermittler. Außerdem war es schon sehr spät, und das Mädchen brauchte Schlaf, zumal es bald noch mehr ertragen musste, nicht zuletzt die Beerdigung seiner Mutter.
Eher aus Intuition als aus Erfahrung legte Grace den Arm um Felicia.
»Du brauchst jetzt eine Pause«, sagte sie.
Felicia
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