Blinde Voegel
Leitung. «Diese Facebook-Sache, heftig. Ich bin gerade dabei, mich damit vertraut zu machen. Okay, ich kläre das mit den Daten. Man müsste eine Fahrzeit von etwa sieben Stunden in eine Richtung rechnen, stimmt’s?»
«Genau.»
Beatrice ließ Maike Bansch Zeit, sich alles zu notieren, und lud währenddessen die Facebook-Seite neu. Es waren Kommentare hinzugekommen und ein Posting …
«Sie haben im Moment ganz schön viel um die Ohren, nicht wahr?»
Beatrice lachte auf. «Das können Sie laut sagen. Ich vermute, Sie kennen diesen Zustand?»
«Ich bin dieser Zustand.»
Sie lachten beide, und es fühlte sich befreiend an. Als wäre da zum ersten Mal jemand, der Beatrices Leben nachvollziehen konnte. Zu schade, dass Bansch zu weit entfernt lebte, um sich spontan mit ihr auf einen Kaffee zu treffen.
Fast automatisch tippte sie auf die F5-Taste, um Facebook neu zu laden. Kniff die Augen zusammen. Da war ein Beitrag, den sie noch nicht kannte.
«Tut mir leid, ich muss aufhören. Sie melden sich bei mir, wenn Sie mehr wissen?»
«Mache ich. Heute Nachmittag habe ich einen Termin in Ehrmanns Schule, morgen spreche ich mit seiner Exfrau.»
«Klingt gut. Dann bis bald.» Beatrice legte auf und zog das Notebook zu sich heran.
Tina Herbert Wusstet ihr, dass Ira große Pläne hatte? Sie und ich, wir haben unter einer Decke gesteckt. Jetzt werde ich unser Projekt beenden, alleine. Und auf meine Weise.
Leb wohl, Ira. Dir hätte das, was ich vorhabe, nur bedingt gefallen, aber ich verspreche dir, es wird auch in deinem Sinn sein.
Oliver Hegenloh Kannst du dieses pietätlose, kryptische Geschwätz bleibenlassen? Du bist widerlich.
Irena Barić Schick mir bitte eine PN. Ich möchte gern wissen, wer du bist.
Oliver Hegenloh Das kann ich dir sagen, Irena. Leute wie Tina sind die Vampire des Internets. Sie ernähren sich von den Schicksalen anderer und heischen auf deren Kosten Aufmerksamkeit. Ira ist tot und kann sich nicht mehr dagegen wehren, dass du sie mit dir unter eine Decke steckst, verdammt noch mal, Tina.
Phil Anthrop Don’t feed the trolls, Oliver. Du spielst ihr nur in die Hände.
Christiane Zach Warum regt ihr euch so auf? Wenn Tina mit Ira befreundet war, kann sie doch hier davon sprechen.
Beatrice griff nach dem Telefon. So, wie die Dinge sich gerade entwickelten, war es nicht unwahrscheinlich, dass Helen Crontaler Tina rausschmeißen würde, sobald sie die Diskussion zu Gesicht bekam.
«Crontaler.» Es war ihr Mann, der den Hörer abnahm.
«Hier spricht Beatrice Kaspary, Kriminalpolizei. Könnten Sie Ihre Frau an den Apparat holen?»
«Ich …» Er zögerte. «Wissen Sie, es geht ihr nicht gut. Ich habe heute extra meine Vorlesung abgesagt, damit ich mich um sie kümmern kann. Die Todesfälle in der Lyrikgruppe nehmen sie furchtbar mit.»
«Ist sie denn online und liest, was geschrieben wird?»
«Im Moment nicht. Ich habe ihr versprochen, zwischendurch nach dem Rechten zu sehen. Ich möchte, dass sie Abstand gewinnt, wissen Sie.»
Einen Augenblick lang war Beatrice beinahe neidisch. In Krisensituationen jemanden wir Peter Crontaler an der Seite zu haben, musste sich gut anfühlen. Wenn seine Sorge echt war und nicht nur auf Außenwirkung abzielte.
«In Ordnung. Dann geht meine Bitte hiermit an Sie. Im Moment herrscht ein etwas rauerer Ton in der Gruppe. Die meisten sind nicht damit einverstanden, was Tina Herbert postet. Wir möchten sie aber gerne beobachten, es könnte sein, dass sie etwas weiß. Lassen Sie sie weiterschreiben, gut?»
Er räusperte sich. «Tina Herbert, sagen Sie?»
«Ja.»
«Natürlich. Ich werde mich nicht einmischen und höchstens dann, wenn der Ton inakzeptabel wird, auf Helens geschwächten Zustand hinweisen. Das sollte genügen – die meisten Mitglieder unserer Gruppe zeichnen sich durch Feingefühl aus.»
Eines davon ganz besonders , war Beatrice versucht zu sagen.
«Danke. Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen.»
«Das ist doch selbstverständlich. Melden Sie sich bitte jederzeit wieder, wenn Sie etwas brauchen.»
Nach dem Gespräch verzeichnete Tina Herberts Thread bereits stolze 48 Kommentare. Und drei «Gefällt mir», erstaunlicherweise. Eines kam von Nikola DVD, die sich darüber hinaus nicht geäußert hatte.
Gloria Lähr Ich möchte mich an Oliver wenden, dem Tinas Wortmeldung so sehr gegen den Strich geht. Ich kann verstehen, was dich bewegt, aber zieh in Betracht, dass es aus Tinas Perspektive ganz anders aussehen könnte. Sieh mal, vielleicht will sie gar
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