Blinde Voegel
keine Aufmerksamkeit, sondern es ist ihr nur ein Bedürfnis, über Ira zu sprechen. Es wäre doch möglich, dass sie niemanden sonst hat, mit dem sie das tun kann.
Das war die Psychologin, die sich zu Iras Befinden geäußert hatte, als die Gruppe gerätselt hatte, ob ihr etwas zugestoßen war. Jetzt war es Lähr offenbar gelungen, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen – die Kommentare, die auf ihren folgten, lasen sich merkbar versöhnlicher. Tina meldete sich nicht mehr zu Wort.
«Hier haben wir unseren Panther.» Florin legte eine grüne Mappe auf den Tisch und schlug sie auf. «Die deutschen Behörden sind flott, es gibt einiges Datenmaterial über Heckler. Manches ist widersprüchlich, aber es reicht, um sich ein Bild zu machen.»
Von der ersten Seite blickte Beatrice das körnige Schwarzweißfoto eines langhaarigen, bärtigen Mannes mit hagerem Gesicht entgegen. Da war keine Ähnlichkeit zu Ehrmann oder Dulović zu finden, die auf Verwandtschaft hätte schließen lassen. Zu Pallauf schon gar nicht.
Frank Heckler, geb. 17. 2. 1960, gest. 18. 8. 1993.
Sie blätterte vor. Der Mann hatte eine umfangreiche militärische Ausbildung erhalten, die ihm von Kind auf vorgezeichnet gewesen sein musste. Sein Vater war hochdekoriert, aber mit nur einem Bein aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt. Frank Heckler war erst bei der deutschen Bundeswehr, dann beim belgischen Paracommando aktiv gewesen. Im Anschluss an diese Ausbildung war er zur Bundeswehr zurückgekehrt, dort aber 1983 aus dem Dienstverhältnis entfernt worden. Ein Grund für seine Entlassung fand sich in der Akte nicht.
Danach verlor sich seine Spur, bis sie Anfang der Neunziger im ehemaligen Jugoslawien wieder auftauchte, wo Hecklers Fähigkeiten als Soldat ihn an die Spitze einer paramilitärischen Einheit katapultierten, die dem serbischen Geheimdienst unterstand und mit der jugoslawischen Volksarmee kooperierte. Er legte sich den Kampfnamen «Panther» zu, wobei er sich nicht auf das Tier, sondern auf die Panzer des Bataillons bezog, das sein Vater im Zweiten Weltkrieg befehligt hatte.
«Hecklers paramilitärische Einheit war während des Jugoslawienkonflikts vor allem in Kroatien an Massentötungen, Vergewaltigungen, Misshandlungen und Folterungen sowie an Deportationen beteiligt», las Beatrice vor. «Am 18. August 1993 kam Frank Heckler gemeinsam mit zweien seiner Gefolgsleute ums Leben, als sein Jeep in der Nähe von Slunj über eine Landmine fuhr.» Sie blätterte um. «Da gibt es sogar ein Foto des Jeeps. Beziehungsweise der Reste. Wahnsinn.»
«Allerdings.» Florin zupfte an seiner Unterlippe. «Soweit ich herausfinden konnte, existieren keine lebenden engen Verwandten. Die Eltern sind schon lange tot, Geschwister hatte er nicht, und verheiratet war er auch nie.»
Niemand, den man fragen konnte, ob sich in letzter Zeit jemand besonders für Heckler interessiert hatte. Für einen Paramilitär, der seit zwanzig Jahren tot war. War es denkbar, dass er nur als Symbol herhalten sollte? Aber wozu? Für wen?
Beatrice nahm sich ein Blatt Papier und zeichnete drei Kreise, einen für jede der Personen, die ins ehemalige Jugoslawien verwiesen.
Frank Heckler
Rajko Dulović
Adina Sagmeister
Sie schrieb die Namen in die Kreise und fand, dass das Blatt nun gut zum Ausdruck brachte, wie sie die Lage empfand. Jede der Personen saß auf ihrer eigenen Insel. Es gab vielleicht einen Zusammenhang, wahrscheinlich sogar, aber manchmal erwiesen sich Umstände wie diese, die geradezu danach schrien, eine Spur zu sein, als blindwütiger Zufall. Man steckte erst tonnenweise Energie hinein, bevor man ihn als das akzeptierte, was er war.
Sie beschloss, sich die Unterlagen zu Adina Sagmeister noch einmal vorzunehmen, es war nicht ausgeschlossen, dass sie und Heckler sich zu Kriegsbeginn begegnet waren und …
Die Tür flog auf, und Stefan platzte herein, eine sehr bunte Gratistageszeitung in der Hand. «Die Ausgabe von morgen. Jetzt haben wir die Scheiße.»
Facebook bringt den Tod , lautete die Headline. Darunter ein Foto von Ehrmanns Sarg, im Hintergrund die drei Kreuze in der Morgensonne. Weitere Fotos zeigten Ira Sagmeister und Gerald Pallauf.
«Ich glaube es nicht», murmelte Beatrice.
Eine Reihe von gewaltsamen Todesfällen in Salzburg scheint endlich einen gemeinsamen Nenner gefunden zu haben: Alle Opfer kannten sich über Facebook, die Angst der anderen User ist groß. «Ein paar sprechen von einem Fluch», sagt eine Insiderin. «Ich traue mich
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