Blinde Voegel
dort suchte Florin sich eine Bank, den Blumenstrauß hielt er gut sichtbar in der rechten Hand. Beatrice wartete im Sonnenschein, der die Wand gewärmt hatte, an der sie lehnte. Es war besser, getrennt zu warten. Wenn der Anrufer sich zeigte, würde sie zu den beiden stoßen. Aber ihr Informant sollte sich nicht schon von Anfang an in der Minderzahl fühlen.
Die Lautsprecheransage verkündete das baldige Eintreffen eines Zuges auf Gleis eins. Beatrice sah sich um, hielt Ausschau nach jemandem mit einer gelben Baseballkappe. Nichts.
Sie drehte eine Runde über den Bahnsteig, wich einem Skateboardfahrer aus und spähte in die Rolltreppenschächte hinunter.
Der Zug auf Gleis eins fuhr ein und zwei Minuten später wieder ab. Beatrice beobachtete den gegenüberliegenden Bahnsteig, aber niemand dort entsprach der Selbstbeschreibung ihres Anrufers.
Sechzehn Uhr. Sechzehn Uhr fünf. Eine alte Frau näherte sich Florins Bank und setzte sich, ächzend.
Das war schlecht – wenn der Mann doch noch kam, würde er sich nicht heranwagen. Florin stand lächelnd auf, wechselte ein paar Worte mit der Frau und ging dann den Bahnsteig entlang bis fast zum Ende. Dort war niemand mehr.
Sechzehn Uhr acht. Unsere Chancen gehen den Bach runter, dachte Beatrice. Das war keine Überraschung, nein, viele anonyme Hinweisgeber überlegten es sich im letzten Moment anders, beschlossen, sich besser doch rauszuhalten.
Nur hatte Beatrice diesmal das Gefühl gehabt, es würde klappen.
Sechzehn Uhr zwölf. Florin stand immer noch am Ende des Bahnsteigs. Mit dem Blumenstrauß in der Hand wirkte er, als habe eine Frau ihn versetzt. In zwei Minuten würde hier ein Zug einfahren, den wollte Beatrice auf jeden Fall noch abwarten, doch auch das erwies sich als vergebens. Keine gelbe Baseballkappe, keine Jacke mit New-York-Yankees-Emblem.
Kurz vor halb fünf gaben sie es auf und kehrten zu ihrem Auto zurück. Mit einer winzigen angedeuteten Verbeugung überreichte Florin Beatrice die Blumen, und sie schluckte die Bemerkung hinunter, dass sie nun ganz froh war über seine Investition. Es ließ sich nicht so sagen, dass es witzig geklungen hätte.
Ihr Abend bestand aus Pizzabacken und einem unerfreulichen Telefongespräch mit Achim, der für das nächste Wochenende eine gemeinsame Wandertour vorschlug.
«Ich werde keine Zeit haben, der Fall ist noch völlig offen, da kann ich nicht einfach wandern gehen.» Schon früher hatte er jedes Mal so getan, als ob das neu für ihn wäre. Neu und eine absolute Zumutung.
«Und wenn es nach dir geht, läuft es ewig so weiter, nicht wahr? Es gibt immer einen Fall, und er ist immer wichtig.» Er schnaubte. «Ich habe es so satt.»
In der Küche verdunstete zischend Wasser auf der Kochplatte. «Ich weiß», entgegnete sie schließlich. «Dass du es satthast, ist einer der Gründe, weswegen wir geschieden sind. Gute Nacht.»
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Kapitel drei
F lorin war nicht an seinem Platz, dafür erwartete Beatrice am nächsten Morgen ein leuchtend gelber Post-it-Zettel am Computermonitor. Ihre Laune sank sofort ins Bodenlose. Klebezettel waren Hoffmanns bevorzugtes Mittel, um Anweisungen zu erteilen.
Doch die Schrift war diesmal nicht seine.
Guten Morgen! Komm mal gleich zu mir rüber, muss dir was zeigen. Stefan
Sie verzichtete auf den ersehnten Kaffee und machte sich auf den Weg ins Büro ihres Kollegen. Wenn Stefan handschriftliche Notizen hinterließ, musste es ernst sein.
Er sah müde aus, das rote Haar klebte ihm teils verschwitzt an der Stirn, teils stand es in kurzen Strähnen hoch.
«Da bist du ja!» Er strahlte sie an. «Florin, der arme Hund, sitzt bei Hoffmann, aber du kannst ihn dann ins Bild setzen, gut? Ich hab hier etwas Kniffliges für dich.» Er wies mit beiden Zeigefingern auf den Bildschirm.
«Hast du durchgearbeitet?» Stefan trug dasselbe Hemd wie gestern, unverkennbar, niemand würde sich zwei von der Sorte kaufen.
«Na ja, gewissermaßen. Von einem Nickerchen im Besprechungszimmer mal abgesehen.»
«Auweia.» Auf der unsäglichen Couch mit dem hellbraunen Bezug hatte Beatrice auch schon einmal geschlafen, oder es wenigstens versucht. Erholung hatte ihr das nicht beschert, dafür aber vier Tage Kreuzschmerzen. «Soll ich dir Kaffee bringen, bevor wir loslegen?»
Er grinste. «Das wäre dann heute schon der fünfte. Also besser nicht.» Mit der flachen Hand klopfte er auf den Stuhl neben sich. «Setz dich hin. Und schau her.»
Auf dem Bildschirm war Gerald Pallaufs
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