Blinde Voegel
einfacher als Blumen gießen, aber auch viel verbotener, nicht wahr?»
Auf ihrem kleinen, quadratischen Profilbild strahlte Sarah. Wer auch immer das Foto geschossen hatte, sie musste ihn gemocht haben. «Wie sieht es mit den Einträgen von Pallauf aus? Haben die mehr Substanz?», fragte Beatrice.
«Auf jeden Fall», erwiderte Stefan. «Er scheint eine Schwäche für sehr ausführliche Gedichtinterpretationen gehabt haben. So wie viele in dieser Gruppe. Die hat übrigens fast achthundert Mitglieder, das finde ich wirklich erstaunlich.»
Achthundert! Die Idee, jeden Einzelnen zu überprüfen konnten sie sich da getrost abschminken. «Hast du schon nachgesehen, ob Beckendahl und Pallauf in dieser Gruppe miteinander gesprochen haben? Irgendein Beitrag, an dem sie beide beteiligt gewesen sind?»
Tiefer, tiefer, tiefer scrollte Stefan die Seite. «Bisher habe ich nichts in der Art gefunden. Aber ich achte natürlich drauf», murmelte er.
Gedichte. Etwas Harmloseres war kaum vorstellbar. Zwei Menschen interessieren sich für Lyrik, begegnen einander und sind kurz darauf tot.
Die Dinge auseinanderhalten, mahnte sie sich. Die Gedichte haben sie nur zusammengeführt. Der Grund für ihren Tod muss ein ganz anderer sein.
Gedankenverloren kehrte Beatrice in ihr Büro zurück, blieb aber zwei Schritte vor der Tür stehen. Sie war nur angelehnt, und Florins Stimme klang gedämpft, aber gut hörbar bis auf den Gang.
«… tut mir doch auch leid.» Der Tonfall, der für Anneke reserviert war, zärtlich, wie immer. Aber schwang diesmal ein Hauch von Ungeduld mit? «Es ist trotzdem besser, du bleibst in Amsterdam dieses Wochenende.» Kurze Pause. Beatrice fühlte sich mit jeder Sekunde alberner, wie sie dort vor dem Büro stand und lauschte. Entschlossen griff sie nach der Türklinke.
«Ich dachte, diese Dinge hätten wir geklärt.» Der liebevolle Ton hatte Kanten bekommen, und Beatrice entschied sich dafür, nun doch lieber den Rückzug anzutreten, zumal sie aus dem Treppenhaus die Stimme von Peter Kossar näher kommen hörte. Sich von dem forensischen Psychologen in ein mit englischem Vokabular gespicktes Gespräch verwickeln zu lassen, war das Letzte, worauf sie Lust hatte.
Sie stattete dem Café einen kurzen Besuch ab, kaufte zwei Muffins und kehrte damit ins Büro zurück. Florin hatte das Telefongespräch beendet und saß mit düsterer Miene vor seinem Bildschirm.
«Ich habe uns ein zweites Frühstück mitgebracht.» Sie platzierte einen der Muffins direkt vor Florin, bevor sie die Kaffeemaschine anwarf und ihr per Knopfdruck befahl, einen doppelten Espresso auszuspucken.
«Danke», murmelte er.
So einsilbig war er normalerweise nicht. Beatrice räusperte sich und legte alle Unbeschwertheit, die sie aufbringen konnte, in ihre Stimme. «Gibt es Ärger? Du kannst es mir ruhig sagen.»
«Wie? Nein, kein Ärger. Aber Ergebnisse von Vogt und Drasche, die darauf hinweisen, dass Pallauf sich selbst erschossen hat – Drasche hat die Pistole noch einmal genau überprüft, und es sind wirklich nur Pallaufs Fingerabdrücke darauf zu finden. Allerdings hat Vogt noch weitere Hämatome entdeckt, die können aber vom Kampf mit Sarah stammen. Sie hat sich gewehrt, wie es aussieht.»
Beatrice versuchte, es sich vorzustellen. Wie der unbeholfene Gerald Pallauf die drahtige Sarah Beckendahl würgte. Vorausgesetzt, sie wäre geistesgegenwärtig genug gewesen, hätte sie selbst mit gefesselten Händen jede Chance zur Flucht gehabt.
Es passte nicht. Da war noch jemand im Spiel, derjenige, dem die Pistole gehörte. Der Sarah das Blatt Papier aus der Hand gerissen hatte. Es gab Faserspuren von einem Knebel – wo war der geblieben?
«Was sagt Drasche zu Fußspuren? Gibt es da etwas Neues? Und wie sind die beiden überhaupt in den Wald gekommen?»
Florin drehte sich vom Computer weg, griff nach dem Bericht und blätterte darin herum. «Vermutlich über einen Wanderweg, der an einem Parkplatz am Waldrand beginnt, knapp an der Fundstelle vorbeigeht und bis zum Campingplatz führt. Wir wissen jetzt übrigens, dass der Fundort auch der Tatort ist, Pallauf hat sich definitiv dort erschossen.»
«Ohne dass es jemand gehört hat?» Vor ihrem inneren Auge sah Beatrice Finger in schwarzen Handschuhen einen Schalldämpfer auf den Pistolenlauf schrauben. Bei Selbstmord hätte er noch auf der Waffe stecken müssen.
«Hat Drasche etwas gefunden, das ihn an Mord denken lässt? Irgendetwas?»
Florin blätterte weiter, vor und zurück. «Tut
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