Blinde Voegel
interessierte, tat das möglicherweise aus anderen Gründen als aus Freude an gereimten Texten.
Beatrice öffnete Facebook. Ein rotes Kästchen mit einer weißen Drei verriet ihr, dass neue Freundschaftsanfragen gestellt worden waren. Zwei Namen, die sie überhaupt nicht kannte, und Phil Anthrop. Ausgezeichnet, dann ließ sich vielleicht auf unkomplizierte Art herausfinden, wer sich hinter diesem menschenfreundlichen Pseudonym verbarg.
Sie bestätigte alle drei Anfragen und öffnete Phil Anthrops Chronik.
Arbeitet bei Freelance Photographer
Ist hier zur Schule gegangen: Schillergymnasium Heidenheim
Wohnt in Grafenwald, Nordrhein-Westfalen, Germany
In einer Beziehung mit David Lankers
Also auch ein User aus Deutschland. Sein Fotoalbum war aussagekräftig, es gab zahlreiche Fotos von ihm und David – auf Partys, am Strand, in Cafés. Schien eine glückliche Beziehung zu sein, vor einem Jahr hatten sie sich einen Hund gekauft, einen dunklen Pudelmischling namens Karajan.
Darüber hinaus – klar, Freelance Photographer – hatte Phil zahlreiche besonders gelungene Fotos eingestellt, hauptsächlich Naturaufnahmen, Architektur, Reisebilder.
Aber nirgendwo, weder in den Statusmeldungen noch in den Bildern, fand Beatrice einen Hinweis darauf, dass Phil jemals in Salzburg gewesen war. War das Grund genug anzunehmen, dass er nichts mit den Ereignissen der letzten Tage zu tun hatte? Nein. Vielleicht aber doch. Sie wusste es nicht.
In der Gruppe selbst war es ruhiger geworden. Iras Tod war noch nicht bestätigt, aber die Spekulationen hatten nachgelassen.
So schnell, dachte Beatrice. So schnell erlahmte das Interesse, wenn es nicht gefüttert wurde. Sie las sich durch die Einträge – ganz oben stand ein Vorstellungsposting von einer der Neuen auf Stefans Liste: Hildegard Wichert. Sie bedankte sich mit schüchternen Worten für die Aufnahme und erklärte, dass sie mit ihren fünfundsechzig Jahren wenig Ahnung vom Internet habe und hoffe, nichts Dummes zu schreiben. Dann folgte eines ihrer liebsten Gedichte: Herbsthauch von Friedrich Rückert.
Christiane Zach, die Krankenschwester mit der viel fotografierten Katze, lobte sie für diese Wahl und erklärte, dass die Stimmung in der Gruppe derzeit etwas gedämpft sei. «Wir machen uns Sorgen um eines unserer Mitglieder. Sei also nicht traurig, wenn die Kommentare noch ausbleiben, es liegt nicht an dir.»
Danach dürfte Hildegard Wichert sich durch die Einträge gelesen haben, jedenfalls postete sie eine halbe Stunde später, wie furchtbar sie das alles fände und dass Selbstmord doch nie ein Ausweg sei.
Christiane Zach Natürlich nicht. Wir hoffen immer noch, dass es blinder Alarm war.
Helen Crontaler Das tun wir. Obwohl wenig dafür spricht. Ich will nicht schwarzmalen, aber je länger wir nichts von Ira hören, desto weniger Hoffnung habe ich.
Boris Ribar Du gibst uns Bescheid, wenn du etwas erfährst, Helen, nicht wahr?
Da war er wieder: Ribar, auf der Suche nach einer Story, die die Polizei nicht freiwillig herausgeben wollte. Beatrice lächelte grimmig in sich hinein. Ihn würde sie sich am Montag gleich als Erstes vorknöpfen.
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Kapitel elf
E in müder Florin begrüßte sie am nächsten Morgen, als sie kurz vor acht das Büro betrat.
«Wie war es in Amsterdam?»
«Ach … danke.» Sein Lächeln kostete ihn sichtbare Anstrengung. «Wie lief es bei euch? Gibt es etwas Neues, das ich wissen sollte?»
Sie stieg auf seinen Themenwechsel ein, als hätte sie mit nichts anderem gerechnet. «Leider nur wenig. Ich glaube, ich habe herausgefunden, dass einer der Lyrikfreunde Journalist ist. Er hat sich erst nach Pallaufs Tod angemeldet und ist jetzt sehr interessiert daran, was mit Ira Sagmeister passiert ist.»
Florins Augenbrauen wanderten nach oben. «Ach? Und woher wusste er von der Bedeutung der Gruppe?»
«Das ist eine der Fragen, die ich ihm gerne stellen möchte.» Sie sah auf die Uhr. «Möglichst sofort. Man sagt ja, dass Journalisten keine Frühaufsteher seien. Wir könnten ihn noch zu Hause erwischen.»
Nun wirkte Florins Grinsen echt und mühelos. «Oh, oh. Ein Klischee, Bea.»
«Absolut.» Sie zuckte die Achseln und lächelte ebenfalls. «Lass uns überprüfen, ob etwas dran ist.»
Der Frühverkehr machte aus der Fahrt durch Salzburg eine nervenaufreibende Übung in Gelassenheit. Beatrice hätte die Zeit gern genutzt, um noch einmal nach Florins Wochenende zu fragen. Nach Anneke. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt
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