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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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schönste Jahreszeit? Erst als er begann, Beatrices Haarfarbe mit der von fallenden Blättern zu vergleichen, unterbrach sie ihn.
    «Deswegen sind wir doch nicht hier, oder? Sie haben … entschuldige, du hast geschrieben, es wäre dir wichtig, mich zu treffen. Warum?»
    Sein Zögern wirkte nicht gekünstelt. Für die Dauer eines Atemzugs hatte Beatrice den Eindruck, dass sich hinter all seiner Offenheit eine tiefere Vorsicht verbarg als bei ihr selbst. «Ich war heute auf Iras Trauerfeier.» Er ließ den Wein in seinem Glas kreisen. Dunkles Rot. «Du warst nicht dort, oder? Nein, du wärst mir sicher aufgefallen.»
    «Ich konnte nicht. Musste arbeiten.»
    Er nahm einen Schluck, und offenbar war der Wein gut, denn für einen Moment schloss Ehrmann genießerisch die Augen.
    Beatrice mochte Männer, die nicht ständig darauf aus waren, Wirkung zu erzielen. Ehrmann gehörte zu dieser Sorte, er war eine Art Anti-Kossar, aber davon durfte sie sich keinesfalls aus dem Konzept bringen lassen. Dass er ihr sympathisch war, bedeutete gar nichts.
    «Was arbeitest du denn?»
    «Ich bin in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei angestellt», sagte sie, dankbar dafür, dass sie den gestrigen Abend Tinas Biographie geopfert und lange nach einer Beschäftigung gesucht hatte, die möglichst wenig Gesprächsstoff bot.
    «Ah. Und, gefällt dir das?»
    «Geht so. Was machst du?»
    «Ich bin Lehrer.»
    Sie zog die Augenbrauen hoch, als wäre es das Letzte gewesen, was sie erwartet hatte. «Tatsächlich? So wirkst du gar nicht.»
    Ein weiterer Schluck Wein. Schiefes Grinsen. «Wie wirke ich denn?»
    Kaum verließ das Gespräch den unsicheren Boden rund um Ira, entspannte Ehrmann sich sichtlich. Auch gut, dann würden sie eben noch ein wenig länger um den heißen Brei herumreden.
    Beatrice stützte ihr Kinn in die Hand, als müsse sie überlegen. «Du wirkst wie jemand, der gerne Entscheidungen trifft. Ein Unternehmer oder ein Arzt.»
    War es ihr gelungen, ihm zu schmeicheln? Er antwortete nicht, klopfte nur mit einem Finger gegen den langen Stiel seines Glases. «Entscheidungen … um ehrlich zu sein, manchmal würde ich die lieber anderen überlassen.»
    «Aber jedenfalls bist du spontan», setzte sie nach. «Ich glaube, nicht viele Leute würden einen so weiten Weg in Kauf nehmen, um eine Totenmesse zu besuchen.»
    Da lag er, der Köder. Beatrice bemühte sich, ihr unverfängliches Lächeln aufrechtzuerhalten, während sie auf Ehrmanns Entgegnung wartete. Aber sie kam nicht. Er lehnte sich nur im Stuhl zurück und faltete die Hände vor dem Mund. Erst als der Kellner Beatrices Zitronensoda brachte, blickte Ehrmann auf. In seinen Augen lag eine stumme Frage, der Beatrice eine laut ausgesprochene entgegensetzte.
    «Habt ihr euch gut gekannt? Ja, oder? Ich weiß noch, an dem Abend, als Ira … also, als wir versucht haben, mit ihr zu sprechen, da hast du geschrieben, du hättest bei ihr angerufen.»
    Er nickte stumm. Griff nach der Gabel, nur um sie sofort wieder zurückzulegen, und verbrachte die nächsten Sekunden damit, sie perfekt parallel zum Messer auszurichten. «Ja, wir hatten einige Zeit telefonischen Kontakt und wollten uns kennenlernen, wenn ich es endlich schaffen würde, nach Salzburg zu fahren.» Er lachte freudlos. « Spontan hast du gesagt, stimmt’s? Ich fürchte, damit stellst du mich in ein zu freundliches Licht. Ich wollte schon vor Monaten herkommen, aber dann war immer etwas anderes wichtiger.»
    «Du wolltest nach Salzburg kommen – wegen Ira?»
    «Auch.» Er beugte sich vor. «Sie hat mir von jeher imponiert, sie war ein Mädchen, das ziemlich viel Mumm hatte. Und das bist du ebenfalls, habe ich recht?»
    Es war klar, dass er auf etwas anspielte, das Beatrice nicht begriff. Wohl kaum Iras Selbstmord – aber worauf dann? Hatte sie etwas besonders Mutiges getan, sich offenen Auges in eine gefährliche Situation begeben? Die Chancen, dass er früher oder später Klartext reden würde, waren umso besser, je eher er das Gefühl hatte, dass sie wusste, wovon er sprach.
    Sie versuchte es mit Schulterzucken. Das konnte nicht schaden und alles bedeuten. Bescheidenheit, zum Beispiel. «Mumm – na ja. Wie man’s nimmt. Und danke für das Mädchen .»
    Sie redeten nicht viel beim Essen. Das Risotto war ausgezeichnet, und Beatrice hätte gern ihre ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet, aber wichtiger war jetzt, Ehrmann die richtigen Stichworte zu geben.
    Er war lange vor ihr mit seiner Mahlzeit fertig. Sie spürte seinen

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