Blinde Wahrheit
Spalt offen.
Sie keuchten, trieben es wie die Karnickel.
Er wünschte, ihr Schlafzimmer läge nicht im ersten Stock.
Er hätte sie gern beobachtet. Fragte sich, wie sie wohl nackt aussah.
Vielleicht würde er es eines Tages herausfinden. Bald.
Aber für den Moment musste er sich erst einmal zurückziehen.
Es war fast vier Uhr morgens, was bedeutete, dass gleich ein Streifenwagen hier vorbeifahren würde. Seit ein paar Wochen war das Routine, seit Lena Riddle die Schreie gemeldet hatte.
»Das ist nicht dein Ernst.«
Vielleicht hatte er sich verhört. Schließlich lagen ein paar anstrengende Tage hinter ihnen.
Sein Albtraum war anscheinend so etwas wie ein Vorbote gewesen. Die letzten Tage hatten sich durch Anspannung und dunkle, hässliche Erinnerungen ausgezeichnet. Ezra war emotional aufgewühlt … Verdammt, hör dir mal zu. Haben sie dich kastriert oder was?
Reiß dich zusammen , befahl er sich selbst. Schon seit Tagen war er irgendwie unausgeglichen, und es wurde nicht besser.
Teils lag das an den Träumen, teils an allem anderen, was vor sich ging, teils an Lena und teils an dem Chaos in seinem Kopf.
Doch darüber konnte er jetzt nicht nachdenken. Er musste sich auf Lena konzentrieren.
Ezra fuhr sich durchs Haar und überlegte, ob sie vielleicht nur einen Scherz gemacht hatte. Aber sie schaute ziemlich ernst drein.
»Was hast du gerade gesagt?«
»Du hast schon richtig gehört.«
»Kann nicht sein. Ich habe nämlich gerade gehört, du wollest arbeiten gehen. Und das kann einfach nicht stimmen.«
Lena zuckte lässig mit den Schultern. »Ich wüsste nicht, was dagegen spräche. Schließlich habe ich einen Job. Es ist Donnerstag. Und donnerstags arbeite ich nun mal.«
Wie konnte sie so furchtbar gelassen daherreden? Wie konnte sie das nur ernst meinen?
Das war doch nicht möglich. Arbeiten gehen? Wie zum Teufel sollte er auf sie aufpassen, wenn sie bei der Arbeit war?
Und wenn sich das Schwein nun als einer ihrer Arbeitskollegen entpuppte?
Ezras Bauchgefühl sagte ihm, dass der Kerl sich zumindest gut in der Stadt auskannte. Das musste er. Die Schreie, die Lena gehört hatte, die tote Frau, all das hing miteinander zusammen. Er wusste es einfach.
Die Leiche auf Laws Grundstück – verflucht, Law hatte lediglich Glück gehabt, dass er zu diesem Zeitpunkt verreist gewesen war. Reines Glück.
Wer auch immer die Frau umgebracht hatte, kannte diese Stadt, kannte wahrscheinlich auch Lena und sogar Law. Vielleicht kannte derjenige sogar Ezra, obwohl dieser hier noch nicht so vielen Leuten begegnet war.
Und Lena wollte zur Arbeit gehen?
Was, wenn …
Denk so was nicht , warnte er sich selbst. Er lief ohnehin schon herum wie eine tickende Zeitbombe, litt unter akutem Schlafmangel und Stress. Außerdem hatte der Anblick dieser Frauenleiche in ihm all die schrecklichen Erinnerungen wieder aufgewühlt, mit denen er immer noch zu kämpfen hatte.
Er wusste, dass er mit den Nerven am Ende war. Bestimmte Szenarien sollte er sich im Moment besser nicht ausmalen.
»Du willst allen Ernstes zur Arbeit gehen«, sagte er langsam.
»Es ist Donnerstag«, wiederholte Lena. »An Donnerstagen arbeite ich. Es sei denn, ich bin krank oder das Inn ist geschlossen. Beides ist nicht der Fall. Das heißt also … ich gehe arbeiten.«
»Hast du vergessen, was passiert ist?«
Ihr ebenmäßiger, elfenbeinfarbener Teint schien noch eine Spur blasser zu werden. Doch wenn er davon ausgegangen war, dass sie nach dieser Bemerkung ihre Meinung ändern würde, hatte er sich getäuscht.
»Nein. Ich hab es nicht vergessen. Das werde ich wohl nie, so sehr ich es mir auch wünschen würde.« Sie fuhr sich durchs Haar und stieß einen müden Seufzer aus. »Aber ich werde mich wegen eines tragischen Ereignisses nicht davon abhalten lassen, mein Leben zu leben, Ezra. Das kann ich einfach nicht. Dafür habe ich mir das alles viel zu hart erarbeitet. Ich lasse mir nicht von einem kranken Typen mein Leben wegnehmen.«
»Und wenn er nun genau das vorhat?«, fragte Ezra. »Was, wenn er es jetzt auf dich abgesehen hat, Lena? Sag mir das. Was, wenn du die Nächste auf seiner Liste bist?«
Lena kniff die Lippen so fest zusammen, dass sie sich zu einer dünnen Linie formten. Sie drehte sich um und ging ins Wohnzimmer. »Weißt du was, ich hab mir das auch schon alles überlegt, du Schlaumeier«, sagte sie, während er ihr folgte. »Wir wissen doch aber nicht einmal genau, ob das überhaupt alles etwas miteinander zu tun hat, Herrgott noch
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