Blinde Wahrheit
mal gemerkt hat, dass er dem männlichen Geschlecht angehört.
Law Reilly würde wohl nie aufhören, Lena anzuhimmeln.
Remy schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf Nielson. Der allerdings behielt das Auto im Auge, bis es hinter einer Kurve verschwand. Der düstere Ausdruck in den Augen des Sheriffs ließ bei Remy plötzlich alle Alarmglocken schrillen.
»Und … was ist los?«
Nielson sah ihn an. »Was meinen Sie?«
»Na ja, Sie sehen echt übel aus. Und Sie starren Lena Riddle an, als wäre sie eine Kronzeugin.« Remy wandte den Kopf und zählte die Streifenwagen vor dem Verwaltungsgebäude. »Außerdem haben Sie anscheinend jeden Reserve-Deputy mobilisiert, den Sie erreichen konnten.«
Nielson stieß einen Seufzer aus und fuhr sich über den kahlen Schädel.
»Verflucht. Die Sache wird ohnehin demnächst durchsickern.«
17
»Wir müssen aufhören. Früher oder später fliegen wir auf.«
Diese Stimmen – irgendwoher kannte er sie.
»Es läuft doch gerade wie geschmiert. Noch eine große Lieferung, Mac. Dann sind wir durch. Nur noch eine Nummer.«
Ein leiser, müder Seufzer war zu hören, dann ein heiseres Lachen. »Klar, nur noch eine – von wegen.«
Eine Flut von Erinnerungen brach über ihn herein, während er im Schatten seines Verstecks stand. Er mit seiner Partnerin, Seite an Seite, auf unzähligen Straßen.
»Komm schon, Mac. Nur noch ein Mal. Das kriegen wir hin.«
»So ein Quatsch, nur noch ein Mal. Wer’s glaubt, wird selig! Du spendierst mir ein Abendessen.«
Mac. Es war Mac.
Die Pistole … Wo kam die Pistole auf einmal her?
Entsetzt starrte Ezra auf die Waffe in seinen Händen.
Was zum Teufel sollte er damit anstellen?
Doch er wusste es. Er sah auf und plötzlich stand Mac ihm gegenüber. Er sah zu – wie bei einer Liveübertragung –, sah sich selbst dabei zu, wie er den Abzug drückte.
Ein Schrei.
Blut – schiere Fontänen von Blut. Es färbte die Welt vor seinen Augen rot, und Schreie, ihre Schreie, seine Schreie, hallten durch die Nacht. Ezra eilte zu Mac, doch dann veränderte sich alles und sie standen nicht mehr in der Gasse.
Er war im Wald – es herrschte nächtliche Finsternis, das dichte Unterholz griff nach seinen Füßen, brachte ihn zum Stolpern. Als er fiel, landete er in einer Blutlache.
Ihr Blut.
Lenas Blut.
Lenas Gesicht verformte sich … und wurde zu der Frau. Der Frau aus Laws Werkstatt, ihr misshandeltes, entstelltes Gesicht starrte leblos gen Himmel.
Es war ein Traum, das wusste er, aber er wachte einfach nicht daraus auf.
Selbst als aus der Toten seine Geliebte und dann seine Partnerin wurde, wieder und wieder in Endlosschleife, war er hilflos, steckte fest, konnte es nicht aufhalten, konnte nichts dagegen tun …
»Verdammt noch mal, wach auf!«
Er atmete stoßweise, begleitet von Stöhnen. Ezra wurde aus seinen Träumen gerissen, setzte sich auf und starrte in das blasse Oval von Lenas Gesicht.
»Scheiße. Verflucht.«
In kalten, unangenehmen Schweiß gebadet, kämpfte er sich aus den Laken frei, taumelte zur Tür und schaltete das Licht ein. Lena saß auf dem Bett, starrte mit nichts sehenden, weit aufgerissenen Augen ängstlich in seine Richtung. Krampfhaft drückte sie sich die Decke an die nackte Brust.
»Alles in Ordnung?«
»Hab schlecht geträumt«, erwiderte er mit belegter Stimme. Er lehnte sich an die Wand und rieb sich über die verhärteten Muskeln in seinem Bein.
»Schlecht geträumt?«, wiederholte sie und lächelte schwach. »Ezra, wenn ich davon träume, dass ich im Englischunterricht nackt ein Referat über die Frauenbewegung halten muss, dann ist das ein schlechter Traum. Was du da gerade durchgemacht hast … das fällt wohl in eine ganze andere Kategorie.«
Sie streckte die Hand aus. »Kommst du wieder ins Bett?«
Er wollte nicht. Er zitterte wie Espenlaub und noch dazu war ihm schlecht. Doch beim Anblick der schlanken Hand, die sie ihm entgegenstreckte … war er nicht imstande, auf Abstand zu bleiben.
Obwohl seine Kehle wie zugeschnürt war, schluckte er, wankte zu ihr hinüber und sank auf die Bettkante. Lena drehte sich zu ihm um, und als er sich hinlegte, umfasste sie seinen Kopf, damit er ihn auf ihren Bauch legte. »Dein Bein macht dir zu schaffen«, bemerkte sie leise.
Ezra gab keine Antwort. Wo ein Wille war, da war auch ein Weg. Psychogelaber. Wenn er das Bein ignorierte, nicht über seine Träume nachdachte …
»Erzähl mir von deinem Traum«, sagte sie sanft und strich ihm übers
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