Blinde Wahrheit
Daraufhin blickte er die Straße entlang nach Westen. Dort war es noch dunkler – war das womöglich … Rauch?
Er kniff die Augen zusammen und stieß einen Fluch aus. Eine dunkle, schreckliche Vorahnung beschlich ihn. Das war mit ziemlicher Sicherheit Rauch. Auf den ersten Blick hob er sich nur kaum von diesen dichten, schwarzen Wolken ab.
Doch je länger er dorthin starrte, desto mehr wurde aus seiner Ahnung Gewissheit – bei diesen schwarzen Schwaden, die sich zusammenballten, handelte es sich nicht um Wolken. Das war Rauch.
»Lena, ich glaube, es könnte mein Haus sein«, sagte Ezra mit fester, ruhiger Stimme.
Die Fahrt dauerte nur acht Minuten, das wusste er, aber die Zeit schien sich unendlich in die Länge zu ziehen. Als Lena und er schließlich in seine Einfahrt einbogen, fühlte er sich um zwanzig Jahre gealtert.
Schon auf halbem Weg hatten sie das Heulen der Sirenen gehört, doch er wusste längst, dass es zwecklos war.
Wenn die Feuerwehr ankam, würde sie nur noch die letzten Flammen löschen können.
»Ezra?«, murmelte Lena.
»Ja?«, antwortete er, die Hände fest um das Lenkrad geklammert.
»Ich … Ich weiß auch nicht.«
Sie hatte das Gefühl, dass sie etwas sagen sollte, etwas tun sollte. Nur was? Tastend suchte sie nach seiner Hand, die, wie sie merkte, auf seinem Oberschenkel ruhte. Fest zur Faust geballt lag sie unter Lenas Fingern. Für einen langen Augenblick rührte er sich nicht; dann öffnete er die Hand und schloss sie so fest um ihre, dass es beinahe schon schmerzte.
Kurz darauf hielten sie vor seinem Haus.
»Ich will sichergehen, dass niemand drin ist«, sagte er leise. »Bleibst du im Wagen?«
»Ich würde lieber mitkommen.«
»Nein.« Langsam holte er tief Luft. »Bitte nicht. Wie’s aussieht, beschränkt sich das Feuer nur auf das Haus, aber die Feuerwehrleute werden hier überall herumlaufen. Es vereinfacht ihnen die Arbeit, wenn sie sich um niemanden sonst Sorgen zu machen brauchen. Ich kann ihnen aus dem Weg gehen und schneller wieder hier sein, wenn ich allein loslaufe.«
Sie biss sich auf die Lippen und befahl sich, seinen letzten Satz nicht persönlich zu nehmen. In seiner Stimme lagen Schmerz und Kummer. »Okay.« Mit einem gezwungenen Lächeln fügte sie hinzu: »Beeil dich bitte.«
»Versprochen.«
Leise fiel die Fahrertür zu. Lena vermutete, dass Ezra sich hatte beherrschen müssen, um sie nicht zuzuknallen.
Er hielt sich abseits.
Selbst als einige Streifenwagen ankamen, hielt er sich zurück, umrundete sein Grundstück und starrte auf die lodernden Überreste des Hauses seiner Großmutter.
Ihr Haus – nicht wirklich seines. Jedenfalls war es das noch nicht gewesen. Er hatte daran gearbeitet, dem Gebäude seinen eigenen Stempel aufzudrücken, war jedoch immer wieder durch andere Dinge … wie zum Beispiel Lena … abgelenkt gewesen.
Natürlich hatte er nicht das Geringste dagegen, von Lena abgelenkt zu werden.
Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte und Ezra widerstand dem Drang, auf irgendetwas einzuschlagen – egal was. Im Moment bot sich ohnehin nicht gerade viel dafür an. Er stampfte auf dem matschigen Boden auf und starrte in die Flammen. Regen rann ihm übers Gesicht und in die Augen, doch er ignorierte es, schenkte auch seiner durchnässten Kleidung keine Beachtung, ebenso wenig wie den Blicken, die hin und wieder in seine Richtung geworfen wurden.
Wer zum Teufel hatte das getan?
Lena nahm an, der Blitz habe eingeschlagen, aber Ezras Gefühl sagte ihm etwas anderes. Diese Antwort war zu sauber, zu einfach. In diesem verdammten Chaos konnte es keine saubere, einfache Lösung geben.
»Scheiße«, brummte er und warf einen Blick zu seinem Pick-up. Durch den Regen konnte er gerade so Lenas Silhouette hinter der Windschutzscheibe ausmachen. Er musste zu ihr zurück, musste für sie da sein, doch zuerst musste sich sein brennender, rasender Zorn legen.
Hatte dies etwas mit der Leiche zu tun? Mit den Schreien? Warum? Wozu? Verflucht, nur weil jemand sein Haus abfackelte, würde er sich nicht von Lena fernhalten – falls das die Absicht hinter der ganzen Aktion gewesen war.
Er wirbelte herum, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und verschränkte dann die Hände im Nacken. Mit gesenktem Kopf starrte er vor sich auf den matschigen Boden.
Da sprang ihm etwas ins Auge.
Es war dreckig und beinahe vollständig von einer Schlammschicht überzogen.
Wenn er nicht genau hier gestanden hätte, wäre es ihm niemals aufgefallen.
Entrüstung machte sich
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