Blinde Wahrheit
schnitt ihm eine Grimasse, während sie sich von Puck weiter ins Haus hineinführen ließ. »Warum nicht? Ich tue das jeden einzelnen Tag.«
So eine Scheiße …
Nielson folgte ihr. In seinem Blick lag ein Ausdruck von Ärger und Abscheu. Genau wie Ezra kannte auch er diesen Gestank. »Sie muss dringend von hier verschwinden«, knurrte der Sheriff, während sie zu Lena aufschlossen. »Wir können nicht ausschließen, dass der Täter noch hier ist.«
»Doch, das können wir«, sagte Ezra, obwohl er sich nur ungern auf den Instinkt eines Hundes verließ. »Wenn hier irgendwo eine Gefahr für Lena lauern würde, ließe Puck sie nicht hinein – verlassen Sie sich drauf.«
Hund und Frauchen legten eine erstaunliche Zielstrebigkeit an den Tag. Wenig später wurde auch klar, warum.
Inzwischen überlagerte der metallische, an Kupfer erinnernde Geruch von Blut den Gestank des Tods. »Lass mich wenigstens erst nachsehen«, verlangte Ezra und drückte sich im Flur an Lena vorbei. Langsam öffnete er die Tür und ließ den Blick durch die hell erleuchtete Küche schweifen. Der Geruch nach Blut wurde durchdringend.
Die Quelle dessen lag reglos und still auf dem Boden.
»Großer Gott«, knurrte Ezra.
»Was ist?«, wollte Lena mit zitternder Stimme wissen. »Law?«
»Nein. Es ist Hope. Sie hat sich anscheinend die Pulsadern aufgeschnitten, verdammt.«
In seinem Schädel schrillten die Alarmglocken, irgendetwas stimmte hier nicht. Und zwar ganz und gar nicht.
Neben der Kücheninsel lag eine Pistole. Es wirkte fast, als wäre sie nachträglich dort hingeworfen worden.
Ein Baseballschläger.
Ein scharfes Küchenmesser.
Ezra kniete sich in die immer größer werdende Lache aus Hopes Blut und packte ihre Handgelenke. Gott sei Dank – auch wenn sie bereits leichenblass aussah, ihre Haut war noch warm. »Lena, ruf einen Krankenwagen.«
»Schon erledigt«, ließ Nielson vernehmen. Mit grimmiger Miene und einem dunklen Ausdruck in den Augen stand er im Türrahmen. »Glauben Sie, das war der Grund, warum der Hund sich so benommen hat?«
Ein langes, schier endloses Schweigen trat ein. »Wo ist Law?«, flüsterte Lena.
Ezra schaute auf und begegnete Nielsons Blick. »Können Sie das Haus durchsuchen?«
Der Sheriff nickte und verschwand aus der Küche. Dann konzentrierte Ezra sich auf Hope, auf die Blutung, die er stillen musste, auf alles andere außer den hölzernen Baseballschläger, der wenige Meter von ihm entfernt lag. An einem Ende waren blutige Handabdrücke zu erkennen.
Sie wirkten zu schmal für Männerhände. Am anderen Ende klebte ebenfalls Blut … und noch etwas anderes, über das er nicht nachdenken wollte.
»Ezra, geht es ihr gut? Ist sie … wird sie wieder gesund?«, fragte Lena leise.
»Keine Ahnung, Süße«, antwortete er knapp. »Sie ist bewusstlos, aber sie liegt noch nicht lange so da. Das Blut … anscheinend gerinnt es allmählich.«
»Warum sollte sie … ?«
Er löste den Blick von Hope und schaute zu Lena. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.« Es ergab überhaupt keinen Sinn, nichts von alledem.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, schüttelte Lena den Kopf. »Irgendwas stimmt da nicht, Ezra. Ihr ging es gut, als sie bei mir aufgebrochen sind – da war noch alles in Ordnung. Warum um alles in der Welt sollte sie so etwas tun?«
Ezra wusste nicht, was er ihr darauf antworten sollte.
Meistens konnte sich Lena gut mit ihrem Schicksal abfinden – sie war blind, na und? Sie hatte ihr eigenes Leben, einen Job, der ihr Spaß machte, Freunde … und seit ein paar Wochen hatte sie sogar einen Liebhaber, einen Mann an ihrer Seite, dem sie so gefiel, wie sie war.
Doch in diesem Augenblick wünschte sie sich, sehen zu können.
Hilflos in einer Ecke der Küche gefangen, blieb ihr nichts anderes übrig, als zuzuhören, wie die Sanitäter einander anblafften – es klang wie eine fremde Sprache aus abgehackten Sätzen und Zahlen, die in scheinbar wirrer Folge aufgesagt wurden.
Lena bekam fast keine Luft mehr. Sie roch nur noch Blut – als wäre ihre Nase von innen damit bestrichen. Furchtbar gern hätte sie die Küche verlassen, sei es bloß, um sich auf die Veranda zu stellen, doch sie hatte Angst, umherzugehen, befürchtete, sie könnte den Sanitätern ausgerechnet dann im Weg sein. Hope – hatte sie wirklich …
Nein.
Lena schüttelte den Kopf. »Nein«, wiederholte sie leise mit geschlossenen Augen.
Obwohl sie es nur zu sich selbst gesagt hatte, gab dieses kleine Wort ihr
Weitere Kostenlose Bücher