Blinde Wahrheit
hallte.
Remy schaute auf. »Warum? Weil sie so herzensgut und sanftmütig klingt?«
»Sie hat ein ziemlich gutes Alibi«, erwiderte Nielson. »Sie war den halben Tag mit Lena Riddle in Lexington shoppen.«
Remy ächzte. Ja, das war kein schlechtes Alibi. Trotzdem … mit dieser Frau stimmte irgendetwas ganz und gar nicht. »Gibt es Fingerabdrücke auf der Pistole und auf dem Baseballschläger?«
»Ja. Wir lassen sie gerade durchs System laufen.« Der Sheriff machte eine finstere Miene und rieb sich den Nacken. »Mein Instinkt sagt mir, es sind ihre Abdrücke. Allerdings sagt er mir ebenfalls, dass sie es nicht getan hat.«
Remy runzelte die Stirn. »Dann beschaffen Sie mir Beweise. Wir haben es mit einem toten Deputy zu tun, da brauchen wir ein bisschen mehr als Ihren Instinkt.« Er blickte zum anderen Ende der kleinen Notaufnahme. In dem größeren Zimmer dort konnte er Law Reilly sehen.
Er war bisher nicht aufgewacht.
Es gab eine Schwellung in seinem Gehirn. Laut dem Arzt, mit dem Remy gesprochen hatte, war es möglich, dass Reilly innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden starb. Womit die Zahl der Mordopfer dann auf zwei steigen würde.
Konnte diese zaghafte, ängstliche Frau sie beide umgebracht haben?
Wenn er auf sein Bauchgefühl hörte, musste er Nielson zustimmen.
»Was zum Teufel ist in letzter Zeit nur los?«, brummte Remy.
Doch darauf konnte der Sheriff ihm keine Antwort geben.
Lena hielt Laws Hand.
Irgendwann in der vergangenen Nacht war er auf die Intensivstation verlegt worden. Lena hatte jegliches Zeitgefühl verloren – Himmel, sie wusste nicht einmal genau, welcher Tag war. Es musste wohl früher Dienstagvormittag sein. Sie wusste ziemlich sicher, dass nicht mehr als ein Tag vergangen war, seit sie mit Hope in Lexington eingekauft hatte.
Ein Tag.
Du lieber Gott.
Tränen quollen unter ihren geschlossenen Lidern hervor, und sie drückte Laws Hand. »Komm schon, Law, wach auf«, flüsterte sie.
Die Vorstellung, dass er nicht wieder aufwachen könnte, ließ sie nicht zu. So durfte sie nicht denken. Das ging einfach nicht. Er war stark, er war stur – was konnten ihm ein paar blaue Flecke und eine Schwellung im Gehirn schon ausmachen? Law hatte einen Dickschädel – er konnte das wegstecken. Der Rest, die gebrochenen Rippen, die Fraktur am Unterarm, das würde alles heilen. Quetschungen und eine Schwellung im Gehirn sollten ihm eigentlich nicht groß zu schaffen machen.
Ein Schluchzer entrang sich ihrer Kehle.
»Wach auf, verdammt noch mal«, herrschte sie ihn an.
Doch er gab keinen Mucks von sich, rührte nicht einen Finger.
Seufzend setzte sie sich auf und wischte sich die Tränen von den Wangen. Die Zeit lief ihnen davon, das wusste sie. Auch wenn sie keine Ahnung von Medizin hatte, meinte sie doch irgendwo gehört zu haben, dass mit jeder Stunde, die verstrich, die Wahrscheinlichkeit sank, dass jemand aus einem Koma erwachte. In ihren Augen war er demnach schon zu lange bewusstlos.
Viel zu lange.
Die Tür ging auf, und Lena hörte schwere Schritte, dieser Gang war ihr vertraut. Die Person blieb am Fußende stehen, und sie wandte dem Besucher das Gesicht zu.
»Irgendwas Neues?«, fragte Sheriff Nielson mit gedämpfter Stimme.
»Nein.«
»Hab’s befürchtet.« Er seufzte. »Ezra döst im Wartebereich. Ihr Hund scheint sich nicht gerade darüber zu freuen, dass er bei ihm sitzen muss, statt hier bei Ihnen.«
»Wenigstens kann Ezra so ab und zu mit ihm rausgehen«, murmelte Lena.
Ein unangenehmes Schweigen entstand, bis sich der Sheriff schließlich räusperte. »Ähm, Ezra sagte, Sie seien den Großteil des Nachmittags mit Hope in Lexington shoppen gewesen.«
»Ja.«
»Sind Sie sicher, dass Sie in Lexington waren?«
Lena rollte mit den Augen. »Hier in Ash gibt es schließlich keinen Großmarkt, oder?«
»Nein. Haben Sie etwas eingekauft?«
Lena zuckte mit den Schulten. »Hope hat sich alles Mögliche besorgt. Ich hab mir, glaub ich, eine CD gekauft.« Sie bückte sich und griff nach ihrem Rucksack, hielt dann jedoch inne. »Ja. Aber sie liegt bei mir zu Hause.«
»Die Quittung auch?«
»Ja.« Sie trommelte mit den Fingern auf ihren Oberschenkel. »Warum fragen Sie? Was ist los?«
Mensch, komm schon. Wach endlich auf. Du hast mich mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt, damit ich deiner Freundin beistehe, jetzt bist du dran. Sie braucht Hilfe, Law, und zwar wirklich dringend.
Das war Lenas Stimme. Law würde sie immer und überall wiedererkennen.
Aber
Weitere Kostenlose Bücher