Blinde Wahrheit
endlich eingeholt hatte, war sie ganz schmutzig gewesen, mit Erde verdreckt, die Fußsohlen schwarz vom Waldboden. Er hatte sie gebadet, dann sich selbst gesäubert und die Kleidung verbrannt. Kein Beweis ihrer nächtlichen Verfolgungsjagd war zurückgeblieben … nicht ein einziger.
Nun galt es zu überlegen, was er tun konnte.
Er musste vorsichtig sein.
Vor allem nach dieser neuesten … Entwicklung.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Noch eine halbe Stunde, dann würde er aufbrechen. Er hatte zu tun. Musste Pläne schmieden.
Ich habe ein komisches Gefühl dabei. Ich meine, natürlich bin ich dankbar, dass du mir helfen willst …
Ich will dir nicht helfen. Ich will mir selbst helfen.
Er drückte die Eingabetaste und sah dabei zu, wie seine Antwort ins Nachrichtenfenster sprang.
Edward Lawson Reilly log nicht. Es würde ihm helfen. Er fuhr sich durchs Haar, aber die hellen, goldbraunen Strähnen fielen ihm gleich wieder ins Gesicht. Ohne weiter darauf zu achten, zog er eine Schublade auf und holte ein verblichenes, ziemlich mitgenommenes Foto heraus.
Es war eine Aufnahme von ihm in der Highschool. Neben ihm stand Hope, deren langes Haar ihr Gesicht einrahmte. Sie lächelte glücklich. Und daneben der Junge, den sie kurz nach ihrem Abschluss heiraten wollte.
Sie sahen alle so jung aus, so fröhlich und hoffnungsvoll.
Hopes Unschuld, ihre Hoffnungen, ihre Fröhlichkeit – all das war zerbrochen. Verflucht, Hope selbst war beinahe zerbrochen.
Ein böse guckendes, kleines gelbes Emoticon erschien im Nachrichtenfenster, gefolgt von Text.
Ich kann nicht recht glauben, dass du niemand Besseren dafür findest. Jemand Besseren, der vielleicht auch nicht ganz so weit weg ist von dir.
Law schnaubte.
Ich wohne in Mayberry, Hope. Wenn ich hier jemanden frage, weiß sofort der halbe Ort Bescheid. Außerdem sollst du ja keine Doktorarbeit für mich schreiben. Ich brauche jemanden, der mir mit dem ganzen Papierkram hilft und ein wenig Ordnung in meinen Krempel bringt, und ich will jemanden, den ich kenne, dem ich vertrauen kann.
Law …
Sie versuchte, sich herauszureden – wie schon das ganze vergangene Jahr über. Er brauchte ihr Gesicht gar nicht zu sehen, um es zu wissen. Er kannte Hope einfach zu gut.
Sieh mal, Hope, ich brauche wirklich Unterstützung. Ich kriege es allein einfach nicht mehr gebacken. Ich ertrinke in diesem Mist. Kommst du nun her oder nicht?
Law sog sich das Ganze nicht aus den Fingern. Er brauchte wirklich dringend Hilfe, und er vertraute niemandem so blind wie Hope. Es war also die nackte Wahrheit. Darüber hinaus konnte es natürlich nicht schaden, wenn er ein besseres Gefühl hatte, weil sie sich an einem geschützten Ort aufhielt, an dem auch sie sich sicher fühlte … an dem sie heilen konnte.
Das Telefon klingelte. Für einen kurzen Moment reagierte Law vollkommen perplex. Es war noch nicht einmal neun Uhr morgens, und nur wenige Leute kamen auf die Idee, ihn so früh am Wochenende anzurufen.
Dennoch, der Anruf kam ihm ganz gelegen. Er lieferte ihm einen Vorwand, um das Gespräch mit Hope zu beenden.
Du, Telefon. Muss los. Du bist bald hier, ja? Ich mein’s ernst – ich würde ohne dich komplett untergehen.
Er schloss das Nachrichtenfenster, bevor sie antworten konnte.
Auf eines war bei Hope Verlass: Nein zu sagen, fiel ihr schwer. Selbst wenn sie es unbedingt wollte.
Law warf einen Blick auf das Display und grinste, als er die ihm wohlvertraute Nummer sah. »Hallo, schöne Frau«, flötete er in den Hörer.
Hope Carson saß an ihrem Schreibtisch und starrte auf das inaktive Nachrichtenfenster auf ihrem Laptopdisplay. Sie machte sich nicht die Mühe, Law noch eine Nachricht zu schreiben. Sie kannte ihn. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nicht mehr davon abzubringen.
Dennoch war sie sich nicht sicher, ob sie überhaupt in diese Kleinstadt ziehen wollte.
Erschöpft rieb sie sich die Augen, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Kleinstädte machten sie irgendwie nervös. Sie kannte die Spielregeln, schließlich waren Law und sie in so einem Ort groß geworden – wo jeder genau wusste, was der andere gerade machte.
Sie wollte aber nicht, dass irgendjemand wusste, was sie trieb.
Tatsache war jedoch, dass sie eigentlich keine andere Wahl hatte.
Ihr ging das Geld aus, sie besaß keine Verwandten und wenn sie nicht schnell einen Job fand, würde sie am Ende in ihrem Auto schlafen müssen. Und
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