Blinde Wahrheit
in Sachen Berufschancen sah es nicht gerade rosig für sie aus – sie besaß keinerlei Erfahrung, außer vielleicht als Ehefrau.
Hope schloss die Augen und ging im Geiste noch einmal ihre begrenzten Möglichkeiten durch.
Sie konnte sich einen schlecht bezahlten Job suchen und sich um eine Wohnung bemühen. Doch ohne Arbeitszeugnisse, ohne Referenzen wären ihre Chancen gleich null. Zudem wollte sie nicht unbedingt in irgendwelchen Dokumenten auftauchen, über die sie mühelos aufgespürt werden konnte. Am besten wäre es, wenn ihr Name nirgendwo auftauchte.
Sie konnte aber auch nicht zurück nach Hause, selbst wenn sie es gewollt hätte, was allerdings nicht der Fall war. Die Stadt Clinton in Oklahoma würde sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen – nicht nach dem, was sie getan hatte.
»Nein.« Sie öffnete die Augen, setzte sich auf und starrte mit finsterem Gesichtsausdruck die Frau an, die ihr aus dem Spiegel gegenüber des schlichten Schreibtischs entgegenblickte. »Ich bin nicht das Problem. Er ist es. Ich habe gar nichts gemacht. Er war’s.«
Trotzdem konnte sie nicht zurück nach Hause, so oder so.
Außerdem konnte sie dort sowieso nirgends wohnen.
Ihr Exmann, Detective Joseph Carson, war der häuslichen Gewalt für nicht schuldig befunden worden und lebte sogar jetzt noch in dem Haus, in welchem sie gemeinsam die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbracht hatten. Er besaß also das Haus, arbeitete sogar noch in seinem verdammten Job. Verflucht, während sie wie eine Gefangene weggesperrt worden war, hatte man ihn obendrein noch befördert.
Er besaß einfach alles.
Und Hope einen Dreck.
»Stopp«, murmelte sie vor sich hin, rieb sich den Nacken und versuchte jeden Gedanken an Joey zu verdrängen. Selbstmitleid oder Wut würden ihr nicht viel weiterhelfen. Sie musste sich auf den nächsten Schritt konzentrieren, durfte nicht über ihr ruiniertes Leben nachdenken.
Vor Schamgefühl zog sich ihr der Magen zusammen, als sie an Laws Angebot dachte.
Sie konnte letztlich entweder darauf hoffen, einen Job und eine Wohnung zu finden, oder sie konnte sich an einen Freund wenden.
»Du siehst ziemlich fertig aus.«
»Law, ich bin ziemlich fertig.« Lena lächelte, als sie die Sorge in der Stimme ihres Freundes hörte. Sie musste wie ein Zombie aussehen, aber so direkt würde er ihr das natürlich niemals sagen.
Sie schlüpfte in ein Paar flache Schuhe und ging ihr Portemonnaie holen.
»Vielleicht solltest du dich ein bisschen aufs Ohr legen, anstatt in die Stadt zu fahren«, schlug er vor.
Finsteren Blickes schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich muss das erledigen.« Sie würde nicht ruhig schlafen können, bevor sie nicht wenigstens mit jemandem gesprochen hatte. Auch wenn sie nicht glaubte, dass es viel bringen würde.
Was konnten sie denn auch schon unternehmen?
Nichts.
Halt den Mund , fauchte Lena ihre innere Stimme an. »Komm schon. Ich will’s endlich hinter mich bringen.«
Law seufzte. Die Bodendielen knarzten unter seinem Gewicht, als er sich neben sie stellte. »Irgendwie wusste ich, dass du das sagen würdest. Warum fahren wir eigentlich zum Büro des Bezirkssheriffs? Haben der kleine Jennings und seine Freunde auch dein Grundstück umgepflügt? Ich habe sie gegen elf oder so auf der Straße bei mir in der Nähe gehört. Anscheinend haben sie den Vorgarten der alten Mrs King verwüstet. Hab’s im Vorbeifahren gesehen – der neue Besitzer wird hübsch fluchen.«
Der neue Besitzer – Ezra. Oh, allerdings – verflucht hübsch war er.
Bei dem Gedanken an ihn fing es in ihrem Magen an zu kribbeln, doch zum Glück war sie im Augenblick viel zu müde, als dass ihr Körper zu irgendeiner größeren Reaktion fähig gewesen wäre. Seufzend strich sie sich das Haar zurück.
»Nein, darum geht’s nicht.« Ach, wäre ihr Problem doch nur so banal. »Weiß du … eigentlich möchte ich momentan nicht so gern darüber sprechen. Es wird mir schon schwer genug fallen, das Ganze jemandem auf der Wache zu erklären.«
Entschuldigen Sie bitte, Sheriff, aber Sie und Ihre Deputies sollten wirklich etwas wegen der Frau unternehmen, die ich letzte Nacht habe schreien hören. Nein, Sir, ich weiß nicht, wer es war. Nein, Sir, ich weiß nicht, wo es passiert ist. Nein, Sir, ich weiß nicht, wo Sie sie finden können. Nein, Sir, ich habe keine Ahnung, was Sie tun können, aber irgendwas muss es doch geben.
»Hey.« Law berührte sie sacht am Arm. »Was ist los, Lena?«
»Hab nur ein bisschen viel um
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