Blinde Wahrheit

Titel: Blinde Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shiloh Walker

Vom Netzwerk:

Hölle – die Hölle auf Erden. Und … ich glaube, sie war nicht allein.«
    »Was meinst du damit?«
    Geistesabwesend spielte Lena mit dem Stock in ihren Händen. »Darüber denke ich auch ständig nach. Wieder und wieder. Ich weiß auch nicht genau, verdammt. Vielleicht habe ich ja doch so eine verborgene hysterische Ader in mir. Aber ich meine, noch etwas anderes gehört zu haben. Sie hat geschrien, ist durch den Wald gerannt. Und dann war da noch ein leiseres Geräusch. Jemand, der ging … und nicht rannte.«
    »Das konntest du hören?«
    Lena fasste sich mit einer Hand an die Schläfe und seufzte. »Ja. Es ist sehr ruhig hier, Ezra. Extrem ruhig. Ich kenne jedes einzelne Geräusch. Und wie gesagt … meine Ohren mögen vielleicht nicht besser sein als deine, aber ich höre besser zu. Natürlich kann es sein, dass ich mich auch irre, keine Frage.«
    »Aber du glaubst nicht, dass du es tust.«
    Sie hob den Kopf. »Nein. Das glaube ich nicht.«
    »Wenn da noch jemand mit im Wald war, dann ist sie vielleicht verfolgt worden«, mutmaßte Law.
    »Kann sein.« Zu dieser Schlussfolgerung war Ezra auch schon gekommen – und sie gefiel ihm gar nicht. Langsam richtete er sich auf, drehte sich im Kreis, betrachtete das struppige, unwegsame Gelände um sie herum. »Na dann, auf geht’s. Mal sehen, wie weit wir es schaffen, bevor es wieder anfängt zu schütten. Lena, bitte führ uns möglichst dicht an die Stelle heran, woher die Schreie kamen.«
    Sie seufzte. »Da befinden wir uns bereits, soweit ich es beurteilen kann. Viel weiter weg kann es nicht gewesen sein.« Sie blieb an den Baumstamm gelehnt sitzen, ihr ohnehin schon blasses Gesicht sah abgespannt und müde aus, ihre blinden Augen hatte sie in die Ferne gerichtet. Sie biss sich auf die Unterlippe. Eine zerstreute, nervöse Geste, deren sie sich wahrscheinlich nicht einmal bewusst war. »Ich kann nicht ganz genau sagen, aus welcher Richtung es kam, aber wenn ich raten müsste, dann würde ich sagen, es war hier.«
    Ezra suchte die Umgebung ab, hielt Ausschau, ohne wirklich zu wissen, wonach, und blickte schließlich zu Law herüber. »Ich werde mich hier mal ein bisschen umsehen. Dann gehen wir ein Stück weiter, vielleicht mehr nach Norden, und wiederholen das Ganze.«
    Law verstand die Andeutung und gesellte sich stumm zu Lena.
    Als ein Zweig unter seinem Schuh knackte, musste Lena grinsen. »Spielst du den Babysitter?«
    »Nein, ich will mich nur hinsetzen. Schließlich bin ich nicht mit auf diesen kleinen Ausflug gekommen, um den Pfadfinder zu mimen. Wenn er unbedingt durch den nassen Wald rennen will, soll er nur.«
    »Netter Versuch. Und ich nehm dir das sogar fast ab«, murmelte sie.
    Dieser verdammte Regen.
    Alles, was er eventuell hätte finden können, war nun hinüber. Dennoch schaute Ezra sich um, bewegte sich langsam vorwärts und durchforstete ein möglichst großes Gebiet.
    Viel gab es nicht zu sehen: nasses Laub, freiliegende Wurzeln, hier und da eine Kippe oder eine Bierflasche – wahrscheinlich von Leuten, die auf Lenas Land jagen gingen oder sich einfach nur vergnügten.
    Aufmerksam durchkämmte er den Wald, fand jedoch wie erwartet nichts.
    Jedenfalls nichts, was man mit den Augen sehen konnte.
    Nichts, was man hätte greifen können.
    Aber irgendetwas war da.
    Er wusste es einfach.
    Er konnte es förmlich spüren, während er sich auf den Weg zurück zu Lena machte.
    Er würde noch einmal an diesen Ort kommen.
    Vielleicht fände er auch dann nichts, ebenso wie das Mal darauf, aber früher oder später hätte er eine Spur …

9
    »Also.« Sheriff Dwight Nielson blätterte den Bericht durch, klappte dann die Mappe zu und trommelte mit den Fingern auf dem Deckel herum. Montage waren immer nervig, aber dieser Montag gestaltete sich besonders ätzend.
    Pete Hamilton saß im Knast, weil er seine Frau geschlagen hatte. Das Schwein wurde von einem schmierigen Anwalt aus Lexington vertreten, der den Tatbestand der häuslichen Gewalt vehement abstritt, auch wenn die Aussage der eigenen Tochter nicht eindeutiger hätte sein können.
    Die Tochter … Wenn es zu einem Prozess käme, würde er Remy Jennings, eine Zwölfjährige, in den Zeugenstand rufen müssen. Daran führte kein Weg vorbei, eine Tatsache, bei der sich Dwight fast der Magen umdrehte. Und wahrscheinlich war Remy auch nicht gerade begeistert von der Vorstellung.
    Aber sie hatten keine Wahl, es sei denn, es geschah noch ein Wunder und Hamilton bekannte sich schuldig.
    Einem Kind so etwas