Blinde Wahrheit
Termin.«
»Ganz bestimmt!« Ezra schlenderte an ihr vorbei und konnte förmlich spüren, wie ihr stechender Blick sich schwertgleich in seinen Rücken bohrte.
Auf der Straße angekommen, überlegte er, was er als Nächstes tun sollte.
Er hatte keine Lust, an der blöden Terrasse zu arbeiten, würde sich keine Sekunde darauf konzentrieren können, das wusste er. Am Ende schlug er sich noch einen Nagel in den Daumen oder verpfuschte die Konstruktion und würde den Fehler wieder ausbessern müssen. Dabei war er mit seiner Geduld jetzt schon am Ende.
Nein … am liebsten wollte er nun zu Lena fahren.
Er verspürte ein zehrendes, brennendes Verlangen nach ihr, das ihm direkt unter die Haut ging und nicht nachließ, das ihn förmlich auffraß. Es war ein Hunger, ein Bedürfnis, ein Sehnen, und er musste ihm nachgeben, sonst würde es ihm noch den Verstand rauben. Aber gleichzeitig wusste er, dass dies eine ganz schlechte Idee wäre.
Ganz, ganz schlechte Idee , redete er sich ein. Wir sind Freunde, vergessen? Nur Freunde.
»Genau, und als Freund kann ich zu ihr fahren und sie fragen, wie es ihr geht, oder nicht? Nach dem Wochenende, das hinter ihr liegt, kann das nicht schaden«, murmelte er vor sich hin.
Noch während er versuchte, sich das Ganze wieder auszureden und das Kribbeln in seinem Bauch zu ignorieren, beschloss er, beim Gemischtwarenladen vorbeizufahren. Bei seinem letzten Einkauf war er abgelenkt gewesen und hatte keine Liste dabeigehabt. An diesem Tag war er mit seinen Gedanken zwar immer noch woanders und hatte wieder keine Liste dabei, aber ihm war aufgefallen, dass er ein Deo benötigte. Bevor er also aus der Stadt herausfuhr, stoppte er noch einmal beim Supermarkt.
Gerade wollte er sich selbst gratulieren, es durch den halben Laden geschafft zu haben, ohne an Lena zu denken. Doch als er in der winzig kleinen Abteilung für Kosmetik und Schönheit stand – warum zum Teufel mussten Männerdeos eigentlich ausgerechnet in der Kosmetikabteilung untergebracht sein? – , fand er sich plötzlich vor dem Regal mit den Kondomen wieder.
Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße!
Für eine platonische Beziehung brauchte er die ganz sicher nicht.
Wieder einmal kreisten seine Gedanken nur um sie. Doch dieses Mal hatte es nichts mit den mysteriösen Schreien zu tun, sondern nur mit ihrem wohlgeformten Mund, ihrem runden Hintern und dem Herzrasen, das er bekam, wenn sie in seiner Nähe war. Damit, wie gern er sie lachen hörte, mit dem Stich in seinem Herzen, den er jedes Mal dann verspürte, wenn er diesen traurigen Ausdruck auf ihrem Gesicht sah.
Es fühlte sich fast so an wie damals, als er in der Highschool das erste Mal mit Stacy Traynor ausgegangen war – seinem ersten großen Schwarm. Er fühlte dieses heiße, feurige Verlangen, das Feuer der ersten jungen Liebe.
Aber die Sache mit Lena nahm ihn mehr mit. Viel mehr.
Er verlagerte sein Gewicht auf das gesunde Bein, schnappte sich eine Packung Billy Boy, warf sie in seinen Einkaufskorb und marschierte aus dem Gang. Also gut. Und wenn schon? Er kaufte gerade eine Packung Kondome – er handelte eben pragmatisch. Mehr nicht.
Einfach nur pragmatisch.
Leider fiel es ihm äußerst schwer, nüchtern und sachlich zu bleiben, wenn er an Sex und im selben Augenblick an Lena dachte. Er bekam unwillkürlich das Gefühl, komplett unter Strom zu stehen und Feuer zu fangen, meinte förmlich hören zu können, wie seine Nervenzellen eine nach der anderen in die Luft gingen.
Aus Selbstschutz begann er schließlich, sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Und am effektivsten lenkte er sich ab, indem er sich auf das Entschlüsseln ihres Falls konzentrierte: die Schreie.
»Ein Autounfall war es nicht. So viel steht fest«, murmelte er vor sich hin.
Einem der umliegenden Krankenhäuser müssten sonst Einweisungspapiere vorliegen und man hätte ein Fahrzeug gefunden oder wenigstens Hinweise auf einen Unfall, irgendetwas.
Diese Möglichkeit konnten sie also ausschließen.
Gab es jemanden, der vermisst wurde? Vielleicht eine Frau, die verschleppt worden und der es gelungen war, zu fliehen, nur um kurz darauf wieder von ihrem Entführer eingefangen zu werden?
Einziger Haken an dieser Theorie: In einer Stadt dieser Größe wäre den Leuten das Verschwinden eines Menschen aufgefallen, und der Sheriff hätte es wahrscheinlich auch erwähnt, wenn eine junge Frau als vermisst galt.
»Trotzdem, vielleicht ist es jemand aus der Umgebung … «
»Ezra!«
Er zuckte
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