Blinde Wahrheit
Dann gab sie noch zum Besten, dass ihr Schwager vor ein paar Jahren von Lena für einige Renovierungsarbeiten am Haus beschäftigt worden sei und sie es einfach total merkwürdig finde, dass eine blinde Frau lieber auf dem platten Land lebe, als zurück in die Stadt zu ziehen.
»Vielleicht gefällt es ihr dort draußen einfach«, gab Ezra zu bedenken, als die Kassiererin gerade Luft holte.
»Warum sollte es? Sie kommt ja nicht mal alleine in den Ort.«
»Tja, nicht jeder hält die Stadt für den Mittelpunkt seines Lebens«, erwiderte Ezra.
Sie blinzelte ihn verständnislos an.
Und er nutzte die Gunst der Stunde und drückte ihr sein Geld in die Hand. Er musste dringend aus dem Laden verschwinden, bevor er sich noch blamierte und nach Einzelheiten dieser Beziehung zwischen Lena und Remy Jennings fragte.
Mannomann … er war dieser Frau völlig verfallen.
»Deputy, habe ich Sie nach Ihrer Meinung zu diesem Vorfall gefragt?«
Der Sheriff blieb ruhig.
Nielson wollte ganz sichergehen, dass Prather kapierte, was er von ihm wollte.
Er war immer noch sauer. Er hatte sich zwar nichts anmerken lassen, aber Detective Ezra Kings Besuch war kein besonders angenehmer Start in den Vormittag gewesen.
Zumal er danach einige Anrufe getätigt und so ziemlich genau das erfahren hatte, von dem er ausgegangen war.
Er hatte es mit einem guten Polizisten zu tun, der vor einem knappen halben Jahr in einen üblen Fall geraten war und beinahe gestorben wäre – eine Geschichte, an der ein guter Cop beziehungsweise der Mensch dahinter kaputtgehen konnte.
Doch auch wenn sich noch zeigen würde, ob er je wieder seinen Dienst aufnehmen könnte, so war Ezra King nicht an dem Fall zerbrochen.
Also hatte es Nielson mit einem von den Guten zu tun, der sich über einen seiner Deputies – einen vollkommen inkompetenten Mann – beschwerte, was ihm gehörig gegen den Strich ging, vor allem, weil King recht hatte.
Prather war zwar kein böser Mensch, aber mit Sicherheit auch kein guter Polizist.
Darüber hinaus konnte er sich nicht beherrschen. Wütend funkelte er seinen Vorgesetzten an. Nur zu gern hätte Nielson erlebt, dass der Mann seinem ganzen aufgestauten Zorn freien Lauf ließ … nur ein einziges Mal, in seiner Gegenwart natürlich. Wenn er schriftlich festhalten könnte, er hielte Prather für bedrohlich, hätte er endlich einen Grund, das Schwein zu entlassen.
Aber seine Abneigung allein reichte nicht, und bisher hatte sich der Kerl nichts geleistet, was eine Kündigung rechtfertigen würde.
»Wo liegt das Problem, Sheriff?«, fragte Prather leise und gepresst, trotz der Zornesröte in seinem Gesicht und dem Funkeln in den Augen.
»Das Problem ist, dass eine Zivilistin mit einem ernstzunehmenden Anliegen hierherkommt und Sie die Dame quasi vor die Tür setzen, ohne ihr überhaupt zuzuhören.«
»Ein ernstzunehmendes Anliegen?«, wiederholte Prather. »Sie hat niemanden gesehen – sie kann niemanden sehen. Sie hat irgendetwas gehört, was kein anderer gehört hat. Kein Mensch glaubt ihr auch nur ein Wort … «
»Ich schon«, erwiderte Nielson mit ruhiger Stimme. Blödmänner wie Prather anzuschreien, würde ihm zwar eine gewisse Genugtuung verschaffen, aber er hatte begriffen, dass Idioten einem besser zuhörten, wenn man es nicht tat … Zudem schien es die Leute irgendwie zu verunsichern, wenn man ihrer ungezügelten Wut kühl und sachlich begegnete. »Sie ist keine Lügnerin, sie ist keine Spinnerin, und wenn sie behauptet, dass sie eine Frau hat schreien hören, und sogar genau beschreiben kann, was und wie diese Frau geschrien hat, und meinen Deputys auch noch die Richtung und das grobe Gebiet zeigt, aus dem die Schreie kamen, dann glaube ich ihr umso mehr. Das ist keine der absurden Geschichten von Deb Sparks, die uns einfach nur auf Trab halten will.«
Nielson lehnte sich zurück und durchbohrte seinen Deputy förmlich mit einem strengen Blick. »Außerdem hat Jennings das Gefühl, dass da irgendetwas vor sich geht. Genauso wie der State Cop, den Sie beleidigt haben, als er hier war. Erst machen Sie sich vor der Frau zum Idioten und beleidigen sie, und dann treten Sie auch noch einem Kollegen auf die Füße, einem Detective der State Police. Legen Sie es darauf an, mir Ärger einzubrocken, Deputy? Oder können Sie einfach nicht anders?«
Trotzig schob Prather das Kinn vor. »Was tut es schon zur Sache, ob King ihr glaubt? Er ermittelt hier schließlich nicht. Er ist beurlaubt.«
Du bist so unfassbar dumm .
Weitere Kostenlose Bücher