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Blinde Wahrheit

Blinde Wahrheit

Titel: Blinde Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shiloh Walker
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zusammen und blieb stehen. Diese knarrende Stimme kannte er nur zu gut. Normalerweise hätte er sich gefreut, aber momentan war er einfach nicht in der Stimmung für ein halbstündiges Pläuschchen mit Lucy Walbash.
    Miss Lucy war die beste Freundin seiner Großmutter gewesen, und Ezra kannte sie, seit er denken konnte. Als er zur Beerdigung seiner Großmutter zurück nach Ash gekommen war, hatte sie neben ihm in der ersten Reihe gesessen und seine Hand gehalten, während er mit den Tränen gekämpft hatte.
    Und als sie ihm schließlich doch über die Wangen gelaufen waren, hatte sie sich zu ihm gebeugt und ihm zugeflüstert: »Sie ist eine großartige Frau gewesen. Es wäre schade, wenn du nicht um sie weinen würdest.«
    Sie war ihm zweifellos einer der wichtigsten Menschen auf der Welt, und wahrscheinlich sogar die liebste Person in Ash … wobei Lena möglicherweise eine Ausnahme bildete.
    Aber in diesem Augenblick wollte er wirklich nicht mit ihr reden – vor allem nicht mit der Schachtel Billy Boy im Einkaufskorb.
    Du bist ein erwachsener Mann, sechsunddreißig Jahre alt. Nur weil sie früher deine Sonntagsschullehrerin war, ändert das nichts an der Tatsache, dass du ein mündiger Mensch bist , redete er sich selbst gut zu.
    Während sie näher kam, hielt er den Korb ein bisschen schräg, sodass die Schachtel umfiel und das verräterische Bildchen auf der Vorderseite nicht mehr zu sehen war. Sauber!
    »Hallo, Miss Lucy.«
    Sie drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Tu nicht so unschuldig, junger Mann. Seit Monaten versprichst du mir schon, mal zum Tee bei mir vorbeizukommen, und bisher habe ich nichts von dir gesehen. Was hast du dieses Mal für eine Ausrede?«
    »Ääähm … «
    Miss Lucy schniefte. »Du hast es wieder verschwitzt.« Sie stieß einen theatralischen Seufzer aus. »Diese jungen Leute, immer werden wir Alten von ihnen vergessen.«
    »Ach, kommen Sie, Miss Lucy … « Verdrossen trat er von einem Bein aufs andere. Er kam sich vor wie früher, wenn sie ihn in der Sonntagsschule mit der Nase über einem Comic erwischt hatte.
    »Grandma, lass Ezra in Ruhe. Er war wahrscheinlich einfach nur zu beschäftigt.«
    Ihre Enkeltochter tauchte hinter ihr auf, und Ezra unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung. Natalie schob einen brechend vollen Einkaufswagen vor sich her. Wahrscheinlich half sie ihrer Großmutter beim monatlichen Großeinkauf.
    Sie blickte ihn an und lächelte. »Achte nicht auf ihr Genörgel. Das ist ihre Art, dir ihre Zuneigung zu zeigen.«
    Miss Lucy schnaubte. »Zuneigung? Warum sollte ich einen Burschen mögen, der nicht einmal das simple Versprechen hält, mich zu besuchen? Die ganze Zeit über sitzt er nur zu Hause rum und grübelt.« Der neckische Ausdruck und das Strahlen in ihren Augen verschwand, stattdessen wurde die alte Dame sehr ernst. »Die Vorstellung, dass du da Tag für Tag alleine rumhockst, gefällt mir gar nicht. Du bist ein junger Mann, Ezra … du hast noch dein ganzes Leben vor dir. Du kannst dich nicht ewig von deinem Bein ausbremsen lassen, weißt du.«
    Natalie tätschelte Miss Lucys schmale, vom Alter gebeugte Schulter. »Grandma, misch dich nicht in fremde Angelegenheiten ein.« Sie zwinkerte Ezra zu. »Außerdem bist du nicht auf dem neuesten Stand. Sonst hättest du ja gehört, dass Ezra gestern im Bistro war und sogar mit Lena Riddle gefrühstückt hat.«
    »Mit Lena … « Lucy beäugte ihn kritisch. Dann schürzte sie die Lippen und lächelte versonnen. »Lena Riddle. Oh, das ist ein hübsches Mädchen. Wohnt jetzt schon seit neun Jahren hier. Und nett ist es obendrein. Scheut sich nicht, zu arbeiten, und du meine Güte, wie es kocht … «
    Das war das Gute an Kleinstädten: Man kam unglaublich einfach an Informationen über andere.
    Ihr Name hatte nur ein einziges Mal fallen müssen, und schon wurde Ezra, ob er nun wollte oder nicht, die Kurzversion ihres gesamten Lebens erzählt. Einzelkind, geboren in Ash, doch die Eltern beschlossen während ihrer Kindheit, nach Louisville umzuziehen. Mit zwölf hatte sie ihren Vater durch einen Autounfall verloren.
    Sie war in Louisville zur Schule gegangen, hatte studiert und schließlich ihr Elternhaus zurückgekauft.
    Sie arbeitete als Köchin, was er natürlich schon wusste, aber nun kannte er ihren Dienstplan sowie ihre Spezialitäten, und wenn er clever war, dann würde er sich von ihr ein paar Kekse mit weißer Schokolade, Macadamianüssen und Preiselbeeren backen lassen.
    Miss Lucy holte tief Luft und

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