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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Aluminiumrahmen. Das Mobiliar war schlicht, aber äußerst robust. Es gab zwei Schreibtische, zwei Stühle, ein Etagenbett, zwei Spinde und eingebaute Regale, die in den meisten Zimmern mit Transistorradios, Föhnen, Wasserkochern, Instantkaffee, Zuckerwürfeln, Töpfen zum Kochen von Fertignudeln und Geschirr vollgestopft waren. An den Wänden klebten Playboy-Pin-ups und in den Regalen über den Schreibtischen reihten sich Lehrbücher sowie hier und da ein populärer Roman.
    Da die Bewohner ausschließlich junge Männer waren, befanden sich die Zimmer meist in schlimmem Zustand. Am Boden der Abfalleimer klebten schimmlige Mandarinenschalen, und die Zigarettenkippen standen zehn Zentimeter hoch in den als Aschenbecher verwendeten leeren Dosen. In den Tassen klebte Kaffeesatz. Der Fußboden lag voller Fertigsuppenverpackungen und leeren Bierdosen. Jeder Luftzug wirbelte Staubwolken auf. Dazu stank es fürchterlich, denn alle warfen ihre schmutzige Wäsche unter die Betten. Niemand lüftete regelmäßig sein Bettzeug, und alle Matratzen rochen nach Schweiß und Körperausdünstungen.
    Im Vergleich dazu war unser Zimmer der Inbegriff von Sauberkeit. Kein Stäubchen auf dem Boden, der Aschenbecher stets ausgewaschen. Das Bettzeug wurde einmal in der Woche gelüftet, und die Bleistifte standen ordentlich im Bleistiftständer. Statt eines Pin-ups hing ein Poster von einer Amsterdamer Gracht an der Wand. Warum das alles? Ganz einfach, weil mein Mitbewohner ein zwanghafter Sauberkeitsfanatiker war. Er putzte alles. Er machte sogar meine Wäsche. Ich brauchte keinen Finger zu rühren. Kaum hatte ich mein Bier ausgetrunken, schnappte er sich schon die Dose und beförderte sie augenblicklich in den Abfalleimer.
    Er studierte Geographie im Hauptfach.
    »Ich beschäftige mich mit Ka-Ka-Karten«, sagte er am Anfang zu mir.
    »Du magst also Landkarten?«, fragte ich.
    »In der Zukunft werde ich für das japanische kartographische Institut arbeiten und Karten erstellen.«
    Es gab wirklich die unterschiedlichsten Interessen auf der Welt. Bis dahin hatte ich niemals über die Leute nachgedacht, die Landkarten erstellten, und was sie dazu trieb. Sonderbar fand ich allerdings, dass jemand, der das Wort »Karte« kaum aussprechen konnte, ohne zu stottern, Mitarbeiter des staatlichen kartographischen Instituts werden wollte. Er stotterte übrigens nicht immer, nur bei dem Wort »Karte« war hundertprozentig damit zu rechnen.
    »Und was ist dein Hauptfach?«, fragte er.
    »Theater«, erwiderte ich.
    »Du meinst, Theater spielen?«
    »Nein, nein, Theaterstücke lesen und theoretisch darüber arbeiten. Racine, Ionesco, Shakespeare und so.«
    Außer Shakespeare habe er keinen der Namen je gehört, gab er zu. Ich kannte von diesen Autoren selbst kaum mehr als ihre Namen, und die hatten im Vorlesungsverzeichnis gestanden.
    »Jedenfalls magst du Theater«, sagte er.
    »Nicht besonders«, sagte ich.
    Diese Antwort verunsicherte ihn, und wenn er verunsichert war, verschlimmerte sich sein Stottern. Ich hatte ein schlechtes Gewissen.
    »Mir wäre alles recht gewesen«, erklärte ich. »Indische Philosophie, Orientalische Geschichte, egal was. Zufällig habe ich mich für Theaterwissenschaften entschieden. Mehr nicht.«
    »Versteh ich nicht«, sagte er. »Ich ma-ma-mag Ka-Ka-Karten, deshalb studiere ich Ka-Ka-Kartographie. Dafür bin ich extra nach Tokyo auf die Uni gekommen, und meine Eltern bezahlen das. Ist das bei dir nicht so …?«
    Was er sagte, hatte Hand und Fuß, also verzichtete ich lieber auf weitere Erklärungen. Anschließend losten wir die Betten aus. Ich bekam das obere.
    Er war groß, hatte hohe Wangenknochen und kurz geschnittenes Haar. Er trug immer ein weißes Hemd und schwarze Hosen. Zur Uni ging er immer in Uniform. Schuhe und Mappe glänzten tiefschwarz. Er wirkte wie ein Student aus dem rechten Lager, und viele hielten ihn auch dafür. In Wirklichkeit machte er sich aus Politik nicht die Bohne. Die Uniform trug er nur, weil ihm die Kleiderfrage lästig war. Was ihn interessierte, waren ausschließlich solche Dinge wie die Veränderung von Küstenlinien oder die Eröffnung eines neuen Eisenbahntunnels. Darüber konnte er, wenn sich ihm die Gelegenheit bot, stundenlang unverdrossen auf seine bedauernswerten Gesprächspartner einstottern, bis sie entweder einen Schreikrampf bekamen oder einschliefen.
    Jeden Morgen pünktlich um sechs sprang er aus dem Bett. Die Nationalhymne war unser Wecker; so war die Fahnenzeremonie

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