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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Gefangenschaft abgefunden, in der prallen Sonne.
    Von den Plattformen aus sah man den langen weißen Strand, den rot gestrichenen Turm der Rettungsbrigade und eine Reihe grüner Palmen. Ein wunderschöner Anblick, fast wie auf einer etwas kitschigen Postkarte. Ganz rechts am Ende des Strands lagen eine Reihe schwarzer Felsen und weiße einstöckige Gebäude – die Cottages unserer Hotelanlage. Das Grün ihrer Dächer war ein wenig satter als das der Palmen. Es war Anfang Juni und keine Saison. Der Strand und auch das Hotel waren fast leer.
    In der Nähe lag eine amerikanische Militärbasis, und die Anflugroute der Armeehubschrauber führte praktisch zwischen den Plattformen hindurch. Vom offenen Meer kommend schossen sie erst über die Plattformen, dann über die Palmen hinweg und verschwanden im Landesinneren. Sie flogen so tief, dass man fast die Gesichter der Piloten erkennen konnte. Doch abgesehen vom Knattern der Hubschrauber war es ein friedlicher, verschlafener Strand, ideal für einen geruhsamen Urlaub.
    Jedes Cottage war in vier Einheiten geteilt, zwei auf jeder Etage. Unser Zimmer lag im Erdgeschoss und hatte Meerblick. Direkt vor dem Fenster blühten weiße Frangipani, dahinter erstreckte sich ein Garten mit gepflegtem Rasen. Von morgens bis abends hörte man das monotone Schnappen der Sprenger. Auf der anderen Seite des Gartens gab es einen Swimming-Pool und eine Reihe hoher Palmen, deren große Blätter sanft im Passat schwankten.
    In der Einheit neben uns wohnten Amerikaner, eine Mutter mit ihrem Sohn. Sie schienen schon länger da zu sein. Die Mutter war Ende fünfzig oder Anfang sechzig, der Sohn in unserem Alter, also etwa acht- oder neunundzwanzig. Beide hatten schmale Gesichter, eine breite Stirn und dünne Lippen. Eine derart verblüffende Ähnlichkeit zwischen Mutter und Kind hatte ich noch nie gesehen. Die Mutter war groß, hielt sich sehr gerade und bewegte sich geschmeidig und kraftvoll. Der Sohn schien ähnlich gebaut wie sie, aber wie groß er war, konnte ich nicht genau beurteilen, da er im Rollstuhl saß und seine Mutter ihn immer schob.
    Abends zog er auf das Sofa um und aß das Abendessen, das der Zimmerservice brachte. Anschließend las er wohl.
    Sie waren ausgesprochen schweigsam, und in ihrem Zimmer herrschte eine Ruhe wie in einem Museum. Sie sahen nicht einmal fern. Nur zweimal war Musik zu hören, einmal Mozarts Klarinettenquintett und beim zweiten Mal ein Orchesterstück, das ich nicht kannte, vielleicht Richard Strauß oder etwas Ähnliches, aber ich weiß es nicht. Ansonsten war es fast totenstill. Statt die Klimaanlage einzuschalten, ließen sie öfter ihre Tür offen, damit die kühle Meeresbrise hineinwehen konnte. Aber selbst dann hörte ich sie nie reden. Anscheinend sprachen sie nur im Flüsterton miteinander, denn es war wohl davon auszugehen, dass sie hin und wieder doch etwas zueinander sagten. Die Stille färbte auf meine Frau und mich ab, sodass wir in unserem Zimmer ebenfalls nur ganz leise sprachen.
    Wir begegneten den beiden häufig im Restaurant, im Foyer oder beim Spaziergang im Garten. Die Anlage war recht klein und familiär, und man konnte es kaum vermeiden, sich ab und zu über den Weg zu laufen. Im Vorübergehen nickten wir uns zu. Mutter und Sohn taten dies auf sehr verschiedene Weise; die Mutter nickte kräftig und nachdrücklich, während der Sohn kaum merklich den Kopf neigte. Dennoch vermittelten beide in etwa den gleichen Eindruck. Ihr Gruß hatte einen deutlichen Anfang und ein deutliches Ende, und nichts wies darüber hinaus. Meine Frau und ich versuchten auch nie, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wir hatten damals genug eigene Gesprächsthemen – wir diskutierten über einen Umzug in eine neue Wohnung, über unsere berufliche Zukunft, ob wir Kinder haben sollten. Es war der letzte Sommer, bevor wir dreißig wurden.
    Nach dem Frühstück lasen Mutter und Sohn im Foyer die Zeitungen. Dabei gingen sie systematisch Seite für Seite von oben nach unten durch, als stünden sie in einem Wettstreit, wer am längsten Zeitung lesen könne. An anderen Tagen lasen sie in dicken gebundenen Büchern. Sie wirkten nicht so sehr wie Mutter und Sohn, sondern eher wie ein altes Ehepaar, das sich schon lange nichts mehr zu sagen hat.

    Jeden Morgen gegen zehn gingen wir mit einer Kühltasche an den Strand. Wir ölten uns gründlich ein und legten uns auf unsere Matten in die Sonne. Ich hörte auf meinem Walkman die Rolling Stones oder Marvin Gaye, während meine

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