Blinde Weide, Schlafende Frau
Augen kam, konnte sie einfach nicht widerstehen. Dann veränderte sich ihr Gesicht und sogar ihre Stimme, sodass er beim ersten Mal sogar geglaubt hatte, ihr sei plötzlich schlecht geworden. Diese Neigung war ihm schon vor der Hochzeit aufgefallen, aber ihr wahres Ausmaß war ihm erst auf ihrer Hochzeitsreise nach Europa klar geworden, wo sie eine schier unfassliche Menge an Kleidern gekauft hatte. In Mailand und in Paris klapperten sie von morgens bis abends eine Boutique nach der anderen ab. Sie besichtigten keinerlei Sehenswürdigkeiten, weder den Dom noch den Louvre. Stattdessen wimmelte es in seiner Erinnerung von Boutiquen: Valentino, Missoni, Saint Laurent, Givenchy, Ferragamo, Armani, Cerutti, Gianfranco Ferré … Wie besessen kaufte sie alles, was sie sah. Er folgte ihr dabei und bezahlte die Rechnungen, bis er schon fürchtete, seine Kreditkarte würde solche Summen nicht verkraften.
Auch als sie wieder in Japan waren, hielt dieses Fieber an. Jeden Tag erstand sie etwas Neues, sodass die Zahl der Kleidungsstücke, die sie besaß, sich rasend vermehrte und zusätzlich mehrere große Kleiderschränke und spezielle Regale für ihre Schuhe angefertigt werden mussten. Als auch diese nicht mehr ausreichten, ließ Tony Takitani ein Zimmer zu einem riesigen begehbaren Schrank umbauen. Kein Problem, das Haus war groß und hatte genügend Räume. Auch an Geld mangelte es ihnen nicht. Da sich seine Frau sehr geschmackvoll kleidete und so viel Freude an neuen Sachen hatte, wollte er sich nicht beklagen und tröstete sich damit, dass eben niemand auf der Welt vollkommen sei.
Doch als das Zimmer die Unmengen von Garderobe nicht mehr fassen konnte, wurde seine Verunsicherung stärker. Als seine Frau einmal nicht zu Hause war, zählte er ihre Kleider. Seiner Berechnung nach besaß sie genug für annähernd zwei Jahre, auch wenn sie sich täglich zweimal umziehen würde. Das war eindeutig zu viel. Irgendwo musste man eine Grenze ziehen.
Also fasste er sich eines Tages nach dem Abendessen ein Herz und fragte sie, ob sie vielleicht etwas weniger kaufen könne. »Es ist nicht wegen des Geldes. Natürlich sollst du dir kaufen, was du brauchst, und es gefällt mir auch, wenn du chic aussiehst, aber brauchst du wirklich solche Berge von teuren Sachen?«
Seine Frau senkte den Blick und überlegte einen Moment. »Du hast Recht«, sagte sie dann. »So viel brauche ich nicht. Das weiß ich selbst genau. Aber irgendwie kann ich nicht anders. Wenn ich ein schönes Kleid sehe, muss ich es einfach kaufen. Ob ich es brauche oder nicht oder viel oder wenig habe, spielt dabei keine Rolle. Ich kann mich einfach nicht beherrschen. Es ist wie eine Sucht.«
Dennoch versprach sie, von nun an zu versuchen, sich zu bremsen. »Wenn ich so weitermache, ist bald das ganze Haus voller Klamotten.« Um sich vom Anblick neuer Kleider fern zu halten, rührte sie sich eine Woche lang nicht aus dem Haus, obwohl sie während dieser ganzen Zeit eine große innere Leere verspürte. Sie hatte das Gefühl, sie bewege sich auf einem Planeten mit sauerstoffarmer Atmosphäre. Viele Stunden täglich verbrachte sie in ihrem Garderobenzimmer, nahm jedes Stück in die Hand und betrachtete es. Sie streichelte die Stoffe, atmete ihren Duft ein, schlüpfte in dieses oder jenes Kleid und stellte sich vor den Spiegel. Aber es half alles nichts. Je mehr sie schaute, desto größer wurde ihr Wunsch nach etwas Neuem. So groß, dass sie es kaum noch ertragen konnte.
Sie konnte es einfach nicht mehr ertragen.
Andererseits liebte und achtete sie ihren Mann sehr. Und sie fand, dass er Recht hatte. Solche Unmengen von Kleidern brauchte sie nicht. Schließlich hatte sie nur einen Körper. So rief sie bei einer ihrer Stammboutiquen an und fragte die Geschäftsführerin, ob sie ein Kleid und einen Mantel zurückgeben könne, die sie erst vor zehn Tagen gekauft und noch nicht getragen hatte. »Natürlich, ganz wie Sie wünschen«, antwortete man ihr. Immerhin war sie eine der besten Kundinnen. Sie packte den Mantel und das Kleid ins Auto und fuhr nach Aoyama, gab die Sachen zurück und bekam den Betrag auf ihrem Kreditkartenkonto gutgeschrieben. Nachdem sie sich bedankt und das Geschäft verlassen hatte, ging sie schnurstracks und bemüht, sich nicht umzusehen, zu ihrem Wagen, um direkt nach Hause zu fahren. Jetzt, da sie die Sachen zurückgegeben hatte, fühlte sie sich leicht. »Genau«, sagte sie zu sich selbst. »Die habe ich überhaupt nicht gebraucht. Als hätte ich
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