Blinde Wut
er sich nur ihrer erinnerte, nicht verfehlte.
Max drehte sich zur Seite. Todtraurig und mit dem Bewußtsein, eine Gelegenheit verpaßt zu haben. Und verpaßte Gelegenheiten kehren bekanntlich nie wieder.
Lutz hatte gerade das Krankenhaus erreicht, als das Gewitter losbrach. Seine Dienstmarke öffnete ihm die Türen, die normalen Sterblichen gewöhnlich verschlossen blieben, besonders zu dieser Nachtzeit. Und so gelangte er in das Vorzimmer des Operationssaals und konnte durch die gläserne Trennscheibe verfolgen, wie sich grün vermummte Spezialisten am Operationstisch fieberhaft um das Leben eines Kindes bemühten.
Eine Krankenschwester näherte sich Lutz. »Der Mann ist vorerst mal außer Lebensgefahr«, raunte sie ihm mit gedämpfter Stimme zu. »Aber der Junge… Bei dem sieht es sehr kritisch aus.«
II
Tags darauf war der Himmel schon früh am Morgen klar und die Luft frisch. Das Gewitter, das in der Nacht über die Stadt hinweggefegt war, hatte eine reinigende Wirkung gehabt. Die Schäden, die es angerichtet hatte, hielten sich in Grenzen. Der Sturm hatte ein paar Bäume entwurzelt und ein Baugerüst in der Innenstadt umgerissen, und es waren mehrere Keller überflutet worden, die von der Feuerwehr ausgepumpt werden mußten. Der Blitz hatte in ein Umspannwerk eingeschlagen, aber die Stromversorgung konnte bereits nach einer halben Stunde wieder gewährleistet werden.
Überall traf man auf Menschen, die froh darüber waren, wieder frei durchatmen zu können, statt sich neben all dem Ärger und den Sorgen, die man sowieso schon hatte, auch noch mit den Folgen der atmosphärischen Störungen herumschlagen zu müssen, wie es tags zuvor der Fall gewesen war.
Dem allgemeinen Trend konnte Wagner sich natürlich nicht anschließen. Nicht etwa, weil er eine Sonderrolle spielen oder aus der Reihe tanzen wollte, sondern weil er schlicht und einfach den Wetterumschwung verschlafen hatte. Als er nach dem späten Einsatz der vergangenen Nacht nach Hause gekommen war – er bewohnte ein winziges Appartement der Marke Wohnklo mit Kochnische, das ihm ausschließlich dazu diente, sein Schlafbedürfnis zu befriedigen –, war er hundemüde ins Bett gesunken und sofort eingeschlafen. Das Gewitter hatte ihn mitten in der ersten Tiefschlafphase geweckt und das ständige Gedonnere dann seine Rückkehr in Morpheus’ Arme vereitelt. Gummistöpsel, die er sich schließlich in die Ohren stopfte, sorgten zwar für Abhilfe, sie hinderten aber auch die schrillen Töne des Weckers daran, zu seinen Hörnerven vorzudringen und jene Reaktionen auszulösen, die ihn pünktlich an seinen Arbeitsplatz gebracht hätten. Viel zu spät war er dann von allein aufgewacht, und zwar mit einem dicken Brummschädel, was er als himmelschreiende Ungerechtigkeit ansah, denn er hatte nicht geraucht und nicht getrunken und auch sonst nichts unternommen, was diesen Schicksalsschlag rechtfertigen könnte. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, einfach blauzumachen, verwarf ihn aber gleich wieder. Er wollte Lutz keinen Vorwand zur Häme bieten: die Verspätung würde er großzügig übergehen, ein Fehlen ihm aber wochenlang nachtragen. Außerdem wollte Wagner unbedingt dabeisein, wenn die Theorie, die Lutz zum Fall Däubler aufgestellt hatte, wie eine Seifenblase zerplatzen würde. Ganz frei von Häme war er nämlich auch nicht.
Im Kommissariat traf Wagner als erstes auf seinen Kollegen Krüger, oder besser gesagt: Krüger stellte sich ihm in den Weg. Wagner mochte Krüger nicht sonderlich, hielt ihn für einen aufgeblasenen Affen und miserablen Kriminalisten. Sie waren beide vom gleichen Ausbildungsjahrgang, aber Wagner hatte mit den besseren Ergebnissen abgeschlossen, was ihm auch die bessere Platzziffer eingebracht hatte. Er war der elfte von neunundvierzig, und darauf war er mächtig stolz. Krüger war nur der siebenunddreißigste. Trotzdem war er regelmäßig ein halbes Jahr vor Wagner befördert worden, was Wagner um so mehr wurmte, als er nicht ergründen konnte, was dahintersteckte. Sicher irgendeine Geschichte, etwas Politisches. Das würde ihn nicht wundern.
Krüger hatte sich Wagner also in den Weg gestellt und präsentierte ihm anzüglich grinsend das Abendblatt, die vielgelesene Boulevardzeitung. »Schon in die Zeitung geschaut?«
Wagner sah ihn irritiert an und schüttelte abweisend den Kopf. Krüger mußte ihm das Blatt förmlich aufdrängen.
»Zwei Tore und fünf verschenkt«, las Wagner laut vor. Das war die
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