Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinde Wut

Blinde Wut

Titel: Blinde Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scheibler
Vom Netzwerk:
und stand auf. »Brauchen Sie mich im Augenblick noch?«
    »Nein. Oder warten Sie…« Lutz nahm ein Formular von seinem Schreibtisch auf und hielt es Wagner hin. »Herr Burger von der Verwaltung hat angerufen. Sie haben Ihre Überstunden noch nicht gemeldet.«
    Wagner nahm das Formular und verdrehte die Augen.
    »Sie sind immer der letzte«, sagte Lutz tadelnd. »Ist Ihnen das nicht langsam peinlich?«
    »Die sollen ein Pauschalsystem einführen«, rechtfertigte Wagner sich. »Jeden Monat der blöde Schreibkram.«
    Lutz sah Wagner durchdringend an. »Sie bringen das in Ordnung, ja?«
    »Ja«, brachte Wagner widerwillig hervor. Er stakste aus dem Büro und ließ die Tür hinter sich krachend ins Schloß fallen. Lutz zuckte zusammen und sah empört zur Tür hin, die sich in dem Moment wieder einen Spaltbreit öffnete, um Wagner noch einmal sichtbar werden zu lassen. »Hoppla!« sagte er nur und machte die Tür wieder zu. Diesmal aber leise und vorsichtig. Versöhnt grinste Lutz in sich hinein. Das war zwar keine korrekte Entschuldigung, für Wagners Verhältnisse aber eine erstaunliche Geste. Vielleicht war das ja ausbaufähig?
    Lorenz Kleinhanns hatte versucht, die beiden Kriminalbeamten schon an der Haustür abzuwimmeln. Kleinhanns, ein dunkler, glatter Typ, war etwas kleiner als der Durchschnitt und hatte Geheimratsecken, obwohl er erst knapp über dreißig war. Sein forsches Auftreten wirkte irgendwie aufgesetzt, paßte aber zu seinem wichtigtuerischen Gehabe. Seine Kleidung war ordentlich, vielleicht ein wenig zu adrett, und Wagner rätselte, wer sie ihm wohl ausgesucht haben mochte. Vermutlich seine Mutter. Für Wagner war Kleinhanns genau der Typ, der bis ins hohe Alter mit seiner Mutter zusammenlebt, und nach deren Tod eine Annonce aufgibt des Inhalts: »Gutsituierter Herr sucht Frau, die ihn umsorgt und immer für ihn da ist. Haus vorhanden.« Daß er mit dieser Einschätzung gar nicht so falsch lag, würde sich schon bald herausstellen.
    Jetzt galt es aber erst einmal, in das Haus, eine Villa aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, zu gelangen, und da erwiesen sich Lutz und Wagner als ein ganz brauchbares Team. Während Lutz mit seiner sonoren Stimme Überzeugungsarbeit zu leisten versuchte und stur auf Einhaltung der getroffenen Verabredung mit Frau Kleinhanns bestand, probierte Wagner es mit körperlichem Einsatz, indem er die Haustür, die Lorenz Kleinhanns nur so weit geöffnet hatte, wie es für eine kurze Unterhaltung unbedingt erforderlich war, langsam und mit gleichbleibender Kraft aufdrückte.
    Kleinhanns blieb schließlich gar nichts anderes übrig, als die Herren ins Haus zu lassen und sie in die geräumige Eingangshalle zu führen. Eine zweiflügelige, von gläsernen Fenstern durchbrochene Schiebetür trennte einen Empfangssalon von der Halle ab. Dort saßen, wie Lutz und Wagner sehen konnten, eine ältere, vornehm wirkende Dame und ein schwarzgekleideter Herr, bei dem es sich vermutlich um den Vertreter eines Beerdigungsinstituts handelte. Gesprächsfetzen, die herüberdrangen, bestätigten diese Vermutung: Es ging um Särge.
    »Sie sehen doch«, sagte Kleinhanns, »meine Mutter kann nicht.« Und er fügte vorwurfsvoll hinzu: »Das alles hat sie sehr mitgenommen.«
    Lutz nickte verständnisvoll, aber Wagner wurde die Sache langsam zu bunt. »Ich schick’ ihn weg«, raunte er Lutz zu. »Der soll später wiederkommen.« Er wandte sich der Schiebetür zu. Als er sie aber öffnen wollte, sah er, daß der schwarzgekleidete Herr seine Unterlagen zusammenpackte und in eine schwarze Mappe steckte, sich vor Frau Kleinhanns verbeugte und nun auf die Schiebetür zuging.
    »Der ist ja schon fertig«, murmelte Wagner und machte dem Herrn Platz, der die Schiebetür von innen öffnete, den Kriminalbeamten zunickte und sich an Lorenz Kleinhanns wandte: »Bemühen Sie sich nicht, ich finde schon alleine hinaus.« Er nahm seinen schwarzen Hut von der Ablage, durchquerte die Halle und verließ das Haus.
    Lutz hatte ihn beobachtet und sich darüber gewundert, wie sehr der Beruf doch auf die Menschen, die ihn ausübten, abfärben konnte. Ob man ihm den Kriminalbeamten auch schon zehn Meter gegen den Wind ansah? fuhr es ihm durch den Kopf und er war insgeheim froh, diesen Gedanken nicht vertiefen zu müssen, denn Lorenz Kleinhanns war jetzt in den Empfangssalon getreten, wo seine Mutter zusammengesunken in ihrem Sessel saß.
    »Mutter, die Herren von der Kriminalpolizei…« sagte Kleinhanns leise und in einem Ton,

Weitere Kostenlose Bücher