Blinde Wut
und sie waren alle gereizt. »Ich glaube, das ist eine schöne Aufgabe für Sie«, sagte er ganz beiläufig. »Meinen Sie nicht?«
Wagner sah ihn verblüfft an. »Ja, soll ich das jetzt auch noch mitnehmen?«
Noch ein Wort von Wagner, und er würde explodieren! Lutz wandte sich ab und rief, seinen ganzen Zorn in die Stimme legend, nach draußen: »Herr Rösch!«
Rösch erschien umgehend. Offenbar hatte Lutz ihn bei einer schwierigen Arbeit gestört, denn er machte einen ungehaltenen Eindruck. »Ja, was ist denn?« fragte er ärgerlich.
Lutz deutete zu dem Schrank hin. »Lassen Sie das alles abtransportieren. Und Ihren Bericht brauche ich so schnell wie möglich.«
»Sie kriegen ihn, sobald er fertig ist«, gab Rösch störrisch zurück.
Lutz sah Rösch entgeistert an. Waren jetzt alle verrückt geworden? Mußte er sich das wirklich bieten lassen? Nein! Er holte tief Luft. »Ich brauche den Bericht morgen vormittag!« brüllte er dann los. »Haben Sie das verstanden?!«
Durch den Spion in der Wohnungstür hatte Max Kronbeck den Abmarsch der Kriminalbeamten beobachtet. Der Kommissar und sein Assistent waren als erste aufgebrochen. Die beiden schienen Knatsch miteinander zu haben. Max hatte durch die Wohnungstür gehört, wie Lutz seinen Assistenten anfuhr und etwas von einem Taxi sagte, das er einer Fahrt mit Wagner vorzöge. Als die beiden dann verschwunden waren, wurden Kisten aus der Wohnung getragen. Max hätte nur zu gern gewußt, was sie enthielten und was die Kriminalbeamten mit dem Material anstellen würden. Herr Rösch hatte die Wohnung als letzter verlassen. Jetzt war er gerade dabei, die Tür sorgfältig zu schließen und amtlich zu versiegeln. Gleich darauf war er aus Kronbecks Sichtfeld verschwunden. Max wartete noch, bis unten die Haustür ins Schloß gefallen war. Die Treppenbeleuchtung ging aus. Max war immer noch am Spion, obwohl kaum noch etwas zu sehen war. Und dann wurde es plötzlich gleißend hell! Max verspürte einen Stich im Auge und taumelte zurück. Unmittelbar darauf folgte ein Donnerschlag, der das ganze Haus erschütterte. Das Gewitter! Endlich war es losgebrochen! Und genau über ihm! Max breitete die Arme weit aus und holte tief Luft. Jetzt müßte es sich doch eigentlich einstellen, dieses Hochgefühl, dieser Wunsch, die ganze Welt zu umarmen. Aber da kam nichts. Auch nicht, nachdem ein zweiter und dann ein dritter Blitz weiteren gewaltigen Donnerschlägen vorausgegangen waren. Enttäuscht ließ Max die Arme sinken. Unwillkürlich mußte er an Anne denken. Sie hatte sich, halbtot vor Angst, bestimmt schon unter einem Berg von Decken versteckt.
Max stürzte ins Schlafzimmer und blieb verwundert in der Tür stehen. Anne lag ganz ruhig in ihrem Bett. Nicht, daß sie keine Angst gehabt hätte. Es fehlten aber jegliche Anzeichen der Panik, in die sie sonst immer in solchen Momenten geraten war. Wieder ließ ein Donnerschlag das Haus erbeben, und Anne zuckte zusammen. »Komm«, sagte sie leise, »ich habe solche Angst. Du mußt mich beschützen.«
Max verstand die Welt nicht mehr! Was war mit Anne geschehen? Hatte der Schock der Ereignisse dieses Abends die Struktur ihrer Persönlichkeit völlig durcheinandergebracht?
»Komm!« wiederholte Anne jetzt dringlicher, und Max setzte sich langsam in Bewegung. Beim nächsten Donnerschlag fing das Licht an zu flackern, und als Max das Bett erreichte, erlosch es völlig.
Max legte sich neben Anne, die sich sofort an ihn kuschelte. »Nimm mich in die Arme«, flüsterte sie ihm ins Ohr, und Max zögerte nicht, ihrem Wunsch nachzukommen.
Draußen tobte das Gewitter weiter, ein Wolkenbruch hatte sich hinzugesellt, dicke Regentropfen prasselten gegen die Jalousien. Das hätte der Augenblick sein können, von dem Max sein Leben lang geträumt hatte. Aber es war alles ganz anders, als er es sich immer ausgemalt hatte. Es fehlte die euphorische Stimmung und das Hochgefühl wollte sich einfach nicht einstellen. Wie sollte er da die ganze Welt umarmen? Erschrocken stellte er fest, daß es ihm jetzt, nach wenigen Minuten schon, lästig wurde, Anne in den Armen zu halten.
»Was ist los mit dir?« raunte Anne ihm zu. »Kannst du nicht, oder willst du nicht?«
Jetzt war es ganz aus! Diese Worte erinnerten ihn an einen Spruch aus seiner Kindheit, der ihm immer dann entgegengeschleudert wurde, wenn er behauptete, etwas nicht zu können: »Du willst nur nicht, denn wenn jemand will, dann kann er auch!« Eine Killerphrase, die ihre Wirkung auch jetzt, wo
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