Blinde Wut
als müsse er sich dafür entschuldigen. Frau Kleinhanns blickte langsam hoch, und es dauerte eine Weile, bis sie sich gesammelt hatte. »Richtig, die sind ja auch noch da«, sagte sie dann mit erstaunlich fester Stimme. »Kommen Sie!«
Lutz und Wagner betraten den Salon und gingen auf Frau Kleinhanns zu, um ihr die Hand zu geben. Frau Kleinhanns aber machte ihnen unmißverständlich klar, daß sie darauf verzichten wollte. Mit einer energischen Geste deutete sie ihnen an, sich zu setzen. Lutz folgte zögernd der Aufforderung, aber Wagner zog es vor, stehenzubleiben. So würde er einen besseren Überblick haben, außerdem machte Sohnemann Kleinhanns auch keine Anstalten, sich zu setzen.
»Sie haben mich am Telefon wirklich nicht angelogen?« eröffnete Frau Kleinhanns das Gespräch. »Christian lebt?«
»Ja, Frau Kleinhanns, Ihr Enkel lebt«, versicherte Lutz, »aber sein Zustand ist sehr bedenklich.«
»Er wird durchkommen«, war Frau Kleinhanns sich sicher. »Er muß durchkommen!«
Lutz nickte vage. Die Frau machte es ihm nicht leicht, die Fragen zu stellen, die ihm auf der Seele brannten. Als er dann damit beginnen wollte, kam Frau Kleinhanns ihm zuvor: »Warum hat Bernhard das nur getan?«
Lutz zuckte mit den Schultern. Die Antwort auf diese Frage hatte er sich eigentlich von ihr erhofft.
»Warum Christian?« fuhr Frau Kleinhanns fort. »Daß er Marion haßte, könnte ich verstehen…« Sie hielt inne.
Lutz war auf einmal hellwach. »Herr Däubler haßte Ihre Tochter?«
»Nein, nein«, beeilte sich Frau Kleinhanns zu sagen. »Aber ich kenne meine Tochter. Und so, wie sie ihn behandelt hat…«
»Mutter«, unterbrach Lorenz sie, »du weißt ja nicht, was du redest!«
»Ja, ja… du und deine Schwester«, fuhr Frau Kleinhanns ihren Sohn an, »immer mußt du sie in Schutz nehmen! Marion war ein Biest.«
»Das müssen Sie mir näher erklären«, mischte Lutz sich sofort ein.
Frau Kleinhanns sah gedankenverloren vor sich hin in eine unergründliche Ferne, sank plötzlich wieder in sich zusammen, schlug sich die Hände vor das Gesicht und fing an, hemmungslos zu schluchzen.
»Kommen Sie!« zischte Lorenz Kleinhanns den beiden Kriminalbeamten zu.
Lutz stand auf. Frau Kleinhanns reagierte auf nichts um sich herum. Kleinhanns drängte Lutz und Wagner energisch aus dem Raum und führte sie in die Eingangshalle. Nachdem er die Schiebetür sorgfältig geschlossen hatte, fuhr er die Kriminalbeamten an: »Sie dürfen meine Mutter nicht so quälen!«
»Entschuldigen Sie«, blaffte Lutz zurück, »aber ich tue nur meine Pflicht!«
Kleinhanns schien anderer Meinung zu sein, aber Lutz gab ihm keine Gelegenheit, sie in Worte zu fassen. »Können Sie mir vielleicht sagen, was Ihre Mutter gemeint hat?« wollte er wissen, und präzisierte, als er den verständnislosen Blick des jungen Mannes auffing: »Mit dem Biest?«
»Meine Mutter ist sehr verwirrt«, gab Kleinhanns zurück, »das können Sie sich doch denken.«
»Dann sagen Sie mir vielleicht aus Ihrer Sicht, wie das Verhältnis zwischen Herrn und Frau Däubler gewesen ist.«
Kleinhanns lag eine spontane Bemerkung auf der Zunge, aber er biß sich gerade noch rechtzeitig auf die Lippe, um sie für sich zu behalten. »Ich hätte meiner Schwester einen anderen Mann gewünscht«, sagte er dann bedachtsam, »nicht so einen Idioten.«
»Was meinen Sie damit?« hakte Lutz sofort nach.
»Er hält sich für etwas Besonderes«, versuchte Kleinhanns zu erklären, »für so ’ne Art Genie. Dabei ist er nichts als ein Traumtänzer.«
»Sie können Ihren Schwager nicht ausstehen, das habe ich begriffen. Ich hatte Sie aber nach dem Verhältnis der beiden Eheleute gefragt.«
Kleinhanns starrte ihn an und zog die Schultern hoch. »Ich weiß nicht, was Sie damit meinen.«
Lutz seufzte innerlich auf. Hatte er sich wirklich so unklar ausgedrückt? Er zwang sich, ganz ruhig zu bleiben. »Kamen sie gut miteinander aus«, versuchte er Kleinhanns auf die Sprünge zu helfen, »oder haben sie oft gestritten? War vielleicht sogar von Scheidung die Rede, oder so…?«
»Keine Ahnung«, sagte Kleinhanns in einem Ton, der zeigen sollte, wie lästig ihm die Fragerei allmählich war. »Ich hab’ mich nie darum gekümmert. War mir auch egal. Ich hatte nur gehofft, daß meine Schwester dem Däubler eines Tages davonläuft.«
»Sie haben sehr an Ihrer Schwester gehangen?« meldete sich Wagner jetzt zu Wort.
»Ja, verdammt noch mal!« fuhr Kleinhanns ihn an. Der kurze und unerwartete
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