Blinde Wut
und führte sie zur Tanzfläche. In seiner Jugend war er ein gefürchteter Tänzer gewesen, aber nun war er schon seit Jahren außer Übung und er hoffte, sich nicht allzu ungeschickt anzustellen. Als er Gaby mit dem rechten Arm umfaßt, mit der linken Hand ihre rechte ergriffen hatte, den Takt stumm zählend vorgab und den ersten Schritt machte, wußte er, daß man nicht nur das Radfahren nicht verlernen konnte. Gaby bewegte sich in seinem Arm leicht wie eine Feder und reagierte auf den leisesten Druck, mit dem er ihre Bewegungen und Schritte zu einer harmonischen Einheit zu fügen suchte. Sie tanzten, was ihnen die Band vorgab: Foxtrott, Tango, Cha-Cha-Cha, langsamer und Wiener Walzer, die Hits der fünfziger Jahre. Die älteren Herrschaften machten ihnen bereitwillig Platz auf der Tanzfläche und applaudierten sogar, als Wagner kompliziertere Schrittkombinationen wagte, die ihm wieder eingefallen waren und denen Gaby mit sicherem Instinkt und Sinn für Rhythmus und Musik problemlos folgte. Sie hätten bestimmt die Nacht durchgetanzt, wenn die Band nicht irgendwann zusammengepackt hätte und die Lichter erloschen wären.
»Wie heißt du eigentlich mit Vornamen?« wollte Gaby wissen, als sie sich auf den Heimweg machten.
»Wagner«, gab der Angesprochene kurz und bündig zurück.
»Ich kann dich doch nicht einfach Wagner nennen«, meinte Gaby.
»Warum denn nicht? Alle nennen mich so.«
»Na gut, Wagner«, gab Gaby klein bei und war fest entschlossen, bei der Personalabteilung seinen Vornamen zu erfragen. Sie hatte da gute Kontakte.
Wagner war begeistert von Gaby. Zwar konnte er keine drei Sätze mit ihr wechseln, aber beim Tanz harmonierten sie perfekt, und das hatten sie vielen anderen Paaren voraus. Am meisten freute sich Wagner darüber, daß Gaby Krüger mit keinem Wort mehr erwähnt hatte, nicht einmal in Form von »Krüger kann nicht tanzen« oder »Krüger tanzt nie mit mir«.
Dennoch war Krüger allgegenwärtig, und das mußte Wagner erkennen, als er Gaby mit dem Taxi nach Hause brachte: vor ihrem Haus parkte sein Auto und in Gabys Wohnung brannte das Licht.
»Sag mal, Wagner«, wandte Gaby sich ihrem Tänzer zu, »ist bei dir genügend Platz für zwei? Ich meine, nur für eine Nacht und ganz in Ehren?« Sie hatte keine Lust, Krüger nach diesem fulminanten Abend Rede und Antwort zu stehen für etwas, das ihn nichts anging.
»Kommt drauf an, für wen«, gab Wagner zurück. »Einer mit Putzfimmel und Ordnungsrappel wird’s bei mir zu eng finden.«
»Okay, fahren wir«, sagte Gaby und stieg wieder in das Taxi ein. Wagner setzte sich neben sie in den Fond. Ein anderer wäre jetzt vor Glück und freudiger Erwartung fast zersprungen, aber Wagner dachte nur an das Chaos in seinem Appartement und an den Schock, den es Gaby versetzen würde. Dann spürte er plötzlich ihre Lippen auf seinen und ihre Zunge, die sich fordernd in seinen Mund schob, und er fragte sich, wie sie das ganz in Ehren gemeint haben mochte.
Gaby war viel zu müde, um das Chaos überhaupt wahrzunehmen, und die Ehre blieb auch gewahrt, obwohl die beiden engumschlungen einschliefen.
Als Wagner am nächsten Morgen aufwachte, lag er allein in seinem Bett. An Gaby erinnerte nur noch ihr Duft und ein Zettel, auf dem Wagner lesen konnte: Wir vom Sekretariat haben feste Arbeitszeiten und leider nicht das Privileg, ausschlafen zu dürfen. Kuß, Gaby.
Im Präsidium angekommen, schlich Wagner sich vorsichtig in sein Büro. Er wollte möglichst nicht gesehen und wegen seiner Verspätung dumm angequatscht werden. Als er seine Überstundenmeldung hervorholte und zu Lutz aufbrechen wollte, um den Tag mit einer guten Tat zu beginnen, erschien Krüger plötzlich in der Tür. Finster blickend baute er sich vor ihm auf, nachdem er die Tür hinter sich ins Schloß gedrückt hatte, und Wagner überlegte krampfhaft, wen er gerade imitierte, kam aber nicht darauf.
»Gaby hat ihren Wohnungsschlüssel zurückverlangt«, brachte Krüger bitter hervor.
»Aha?«
»Den sollen Sie jetzt kriegen.«
»So?«
Krüger musterte ihn lange. Offensichtlich verstand er die Welt nicht mehr. »Wie haben Sie das nur angestellt?« wollte er schließlich wissen.
Wagner erhob sich. Er fühlte sich Krüger auf einmal sehr überlegen. »Leichten Fußes, lieber Kollege«, gab er zur Antwort und wiederholte, als er ihn zur Seite schob, um zur Tür zu gelangen: »Leichten Fußes.«
»Morgen, Frau Bauer«, sagte Wagner aufgekratzt, als er dann an ihr vorbei in Lutzens
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