Blinde Wut
des gleichen? Wohl kaum, sonst hätte sie nicht die Abwechslung bei diesem Kommissar gesucht. Kronbeck war nach wie vor davon überzeugt, daß da zumindest etwas im Gange war, auch wenn der Kommissar sich nicht mehr hatte blicken lassen. Die versprochenen Blumen hatte er klugerweise nicht selbst gebracht, sondern von einem Blumengeschäft schicken lassen. Es waren blaue Freesien und gelbe Nelken, eine merkwürdige Zusammenstellung von Blumen, von denen er wußte, daß Anne sie verabscheute. Tatsächlich hatte sie sie auch kaum beachtet und nicht einmal das Wasser gewechselt, so daß sie bereits nach zwei Tagen zu welken begannen und am dritten im Müll landeten. Die Farbkombination hatte ihm noch eine Weile zu denken gegeben, aber er war zu dem Ergebnis gekommen, daß dahinter wohl doch keine geheime Botschaft stecken dürfte. Trotzdem war Kronbeck auf der Hut.
Von dem anrückenden Gewitter hatte Anne offenbar noch nichts bemerkt, obwohl die Luft aufgeladen war wie selten zuvor; Kronbeck spürte förmlich, wie es knisterte. Es würde ein gewaltiges Gewitter werden, dessen war er sich ganz sicher. Er war schon gespannt, wie Anne heute reagieren würde und vor allem, wie er sich verhalten, wie sein Körper diesmal auf die atmosphärische Störung ansprechen würde. Davor hatte er auch Angst, und zwar nicht zu wenig.
Lorenz Kleinhanns hielt sich mit seiner Mutter im Herrenzimmer auf. So wurde das Arbeitszimmer seines Vaters genannt, das von dunklen, schweren Möbeln, samtenen Vorhängen an den Fenstern, einem Lüster, der nur wenig Licht verbreitete und vor allem von den vielen Büchern ringsum in den verglasten Regalen an den Wanden beherrscht wurde. Lorenz haßte dieses düstere Zimmer, in dem seit dem Tod des Vaters nichts verändert worden war. Es war für ihn ein Ort unzähliger Ermahnungen, Zurechtweisungen und Demütigungen, mit denen sein Vater ihn zu formen und den Vorstellungen anzupassen trachtete, die er von einem Sohn gehabt hatte.
Lorenz saß hinter dem ausladenden Schreibtisch und las ein Buch, wie sein Vater es immer getan hatte. Seine Mutter saß in dem schweren Lehnstuhl und blickte ab und zu versonnen lächelnd zu ihrem Sohn hinüber. Lorenz war nur widerwillig und nur, um seiner Mutter einen Gefallen zu tun, auf dieses Theater eingegangen. Er hatte nie begriffen, warum seine Mutter solchen Wert auf dieses Ritual legte. Schließlich hatte sie nicht weniger unter ihrem Mann zu leiden gehabt als er unter ihm als Vater. Seine Mutter hatte sich ihr Leben, auch das mit ihrem Mann zusammen verbrachte, so zurechtgebogen, wie sie es brauchte, und ignorierte konsequent alles, was dieses Bild zerstören könnte. Doch gerade das taten ja alle, nicht zuletzt er selbst, und so hatte er sich den Wünschen seiner Mutter gefügt und spielte das Spiel mit, so gut er konnte.
Lorenz saß vor dem aufgeschlagenen Buch, das er wahllos aus dem Bücherregal gegriffen hatte, aber er las nicht. Er las überhaupt nur ganz selten, nie aber in den gemeinsam mit seiner Mutter im Herrenzimmer verbrachten Stunden, die er vielmehr nutzte, um nachzudenken und zu meditieren.
Die Bücher, die sein Vater gesammelt hatte und die seine einzige Leidenschaft waren, hatte er auch als ein Mittel eingesetzt, ihn zu tyrannisieren. Er mußte lesen, wofür nur sein Vater sich interessierte, und es hatte regelrechte Prüfungen gegeben, bei denen sein Vater sich mit tückischen Fragen davon überzeugte, ob er die Bücher, wie aufgetragen, nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hatte.
Lorenz Kleinhanns mußte still in sich hineinlächeln. Er hatte schon vor Jahren damit begonnen, die Bücher heimlich, eins nach dem anderen, auf Flohmärkten und in Ramschläden zu verscherbeln. Es war ihm gleichgültig, welchen Preis er für die Bücher erzielte, für die sein Vater bei Antiquaren und auf Auktionen viel Geld gelassen hatte. Die durch den Verkauf der Bücher erzielten Beträge pflegte Lorenz gleich wieder in Umlauf zu bringen. Er legte sie den Pennern, die zuhauf den Schloßplatz bevölkerten, in die Hüte, steckte sie bettelnden Asylanten zu und bedachte auch jene, die durch die Fußgängerzone zogen und Passanten ansprachen, um die Mittel für ihren Drogenbedarf zusammenzuschnorren. Lorenz tat das nicht, weil er eine soziale Ader hatte, sondern weil die, die er großzügig beschenkte, zu jenen Randgruppen zählten, die seinem Vater besonders verhaßt waren. Das war ein Teil seiner subtilen Rache, und die Vorstellung, sein Vater
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