Blinde Wut
könnte vom Himmel oder vielmehr von der Hölle aus zusehen, wie seine Schätze diesen Nichtsnutzigen zugute kamen, entschädigte Lorenz im nachhinein für manche erlittene Pein.
Lorenz war an diesem Abend unruhig, und das lag nicht nur an dem drohend aufziehenden Gewitter. Im Radio waren keine Nachrichten über einen mysteriösen Selbstmord im Krankenhaus verbreitet worden, und auch eine telefonische Anfrage mit verstellter Stimme und erlogenem Inhalt hatte Lorenz nur die Erkenntnis gebracht, daß dort alles seinen normalen Gang nahm.
Hatte Bernhard seinen Wink vielleicht nicht verstanden? Oder wollte er ihn nicht verstehen? Oder war er etwa zu feige, die einzig mögliche Konsequenz aus seiner Tat zu ziehen? Lorenz erhob sich. Er mußte zum Krankenhaus und selbst nachschauen, was los war. Sonst würde er heute nicht zur Ruhe kommen.
»Willst du noch einmal fort?« fragte ihn seine Mutter, die aus ihren Gedanken hochgeschreckt war und ihn verwundert ansah.
»Ja, Mutter.«
»Aber doch nicht bei diesem Wetter.«
»Ich muß.«
»Dann zieh wenigstens den Regenmantel an«, ermahnte Frau Kleinhanns ihren Sohn und rief ihm, als er aus dem Zimmer ging, noch nach: »Und vergiß den Regenschirm nicht!«
Bevor Lorenz Kleinhanns das Haus verließ, holte er noch die großkalibrige Pistole hervor, die der Waffenverkäufer ihm aufgeschwatzt hatte. Und als er sie planlos und nur für alle Fälle einsteckte, fiel ihm unwillkürlich ein, was dieser aufdringliche Mann ihm alles über den Fangschuß erzählt hatte.
Bernhard Däubler öffnete die Augen. Er hatte geträumt und konnte sich noch gut an alles erinnern. Es war ein angenehmer Traum gewesen, der ihn nach Somalia entführt hatte, wo er gerade seinen Windrotor installierte. Es funktionierte alles wie am Schnürchen, der Windrotor setzte eine Pumpe in Gang, die klares und sauberes Wasser zutage förderte. Jubel war losgebrochen, und der hatte ihn wohl geweckt. Däubler lächelte glücklich vor sich hin. Er würde sich bald nach Somalia aufmachen!
Plötzlich stutzte er und sah sich um. Draußen wütete ein Sturm, den er im Traum für den Jubel gehalten hatte. Blitze eines fernen Wetterleuchtens zuckten durch die Nacht und erhellten das Zimmer in unregelmäßigen Abständen. Wo war er? Was hatte er hier zu suchen. Als es ihm dann einfiel, kehrte die Verzweiflung zurück, die in den letzten Tagen immer quälender geworden war.
Die Tür öffnete sich auf einmal, und die Nachtschwester erschien. Däubler schloß schnell die Augen und täuschte mit tiefen Atemzügen Schlaf vor. Die Nachtschwester blieb noch einen Augenblick lauschend stehen und entfernte sich dann wieder.
Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, öffnete Däubler die Augen. Plötzlich mußte er an das Gespräch mit Doktor Kröll denken. Obwohl er sich selbst schon überlegt hatte, was alles gegen eine Begegnung mit Christian sprach, klangen die Argumente aus dem Mund eines unbeteiligten Dritten, und noch dazu gespickt mit Fachausdrücken, ziemlich brutal. Doktor Kröll hatte ihn mit seinen Worten gezwungen, die Außensicht auf sich selbst zu übernehmen, und was er da erblickte, war ein Aussätziger, ein ganz gemeiner Verbrecher. Er würde nie nach Somalia fahren, er würde Christian nie mehr sehen, sein Leben war tatsächlich verwirkt, und als er an die Pistole in seinem Schrank dachte, war er seinem Schwager fast dankbar. Er würde aus freien Stücken tun, was Lorenz von ihm verlangte. Aber vorher mußte er Christian noch einmal sehen und stummen Abschied von ihm nehmen.
Däubler stand auf, ging zum Schrank, holte den Morgenmantel hervor, den die Klinik ihm zur Verfügung gestellt hatte, streifte ihn über und verließ vorsichtig das Krankenzimmer.
Als er auf den Korridor trat, kam die Nachtschwester gerade aus einem Zimmer am anderen Ende des Ganges. Däubler preßte sich flach mit dem Rücken gegen die Tür und wartete, bis die Frau im nächsten Zimmer verschwunden war.
Lorenz Kleinhanns hatte das Krankenhaus inzwischen erreicht und seinen Wagen unauffällig auf dem Parkplatz abgestellt. Von seinen früheren Erkundungen her wußte er, daß es eine Möglichkeit gab, unbemerkt in das Krankenhaus zu gelangen. Eine Tür, die aus der Pathologie ins Freie führte und durch die nachts die Leichen der am Tag Verstorbenen diskret aus dem Krankenhaus gebracht wurden, war praktisch immer unverschlossen. So auch jetzt, wie Kleinhanns erleichtert feststellte. Im Krankenhaus war an diesem Tag auch niemand
Weitere Kostenlose Bücher