Blinde Zeugen: Thriller
sich die ganze Zeit nicht zu ihm umgedreht hatte. »Erzähl’s nicht Ihrer Herrlichkeit, aber ich … äh … ich hab was mit einer Kollegin angefangen.«
»Prima. Gratuliere. Ja. Sehr gut. Du hast jemand Nettes verdient. Du solltest heiraten, eine Familie gründen. Warum nicht? Du bist ja schließlich nicht schwul, warum solltest du keine verdammten Babys kriegen?« Sie feuerte den Schwamm so heftig ins Spülbecken, dass das Wasser an die Fensterscheibe spritzte. »Das ist so verdammt unfair!«
Da konnte Logan ihr nicht widersprechen.
Als er nach Hause kam, war es in der Wohnung kälter als draußen, also riss er die Wohnzimmerfenster weit auf und ließ den Lärm vom Aberdeener Hafen herein: das Dröhnen der Schiffsmotoren, das Rattern und Poltern der Ladekräne. Ein Radio dudelte blechern vor sich hin, und irgendjemand sang dazu.
Das Sonnenlicht verpasste den grauen Häusern auf der anderen Straßenseite einen goldenen Anstrich, als Logan eine Flasche Belhaven-Bier köpfte. Vielleicht sollte er Samantha anrufen? Ihr sagen, dass es schön gewesen war letzte Nacht. Aber das würde so klingen, als hätte er es ganz furchtbar nötig, oder nicht? Besser, er machte einen auf cool – morgen in der Arbeit könnte er ihr dann irgendwann über den Weg laufen – rein zufällig natürlich …
Das Telefon klingelte. Logan ignorierte es und ließ den Anrufbeantworter anspringen. Er nahm noch einen Schluck Bier und hörte sich selbst zu, wie der dem Anrufer mitteilte, er könne gerne eine Nachricht hinterlassen.
» Hi, Logan, ich bin’s – Sam. Also, ich wollte nur sagen – «
Logan war mit einem Satz am Telefon. »Hallo?«
Pause. » Also, eigentlich wollte ich ja einen auf cool machen, aber ehrlich gesagt – ich bin erwachsen, und du bist erwachsen, und ich fand’s einfach schön letzte Nacht – also, wozu dann irgendwelche albernen Spielchen spielen?«
Er drückte auf den Ausknopf des Anrufbeantworters. »Genau das Gleiche hab ich mir auch gerade gedacht.« Lügner. »Hast du schon gegessen?«
» Nee. Hatte gehofft, dass ein gewisser Detective Sergeant unangekündigt mit ein paar leckeren Sachen bei mir aufkreuzen würde. « Und dann nannte sie ihm die Adresse eines stationären Wohnwagens an der Mugiemoss Road.
»Ein Wohnwagen?«
» Jawohl, ein Wohnwagen. Ich wohne in einem Wohnwagen, okay? Und wehe, du reißt auch nur einen dummen Witz über ›Trailer Trash‹ oder so – dann kannst du’s dir aber selber besorgen, kapiert? «
»Aber wie käme ich denn dazu?«
Nicht lange nach acht bog Logan auf einen kleinen Campingplatz am Südufer des River Don ab, gegenüber einem steil ansteigenden Friedhof und knapp hundert Meter in Windrichtung zur Hühnerfabrik von Grampian Country Chickens. Eine Reihe von Bäumen schirmte den Wohnwagenpark vor der Kläranlage am anderen Flussufer ab, aber ihr Laubwerk war nicht dicht genug, um die grellen Lichter des riesigen Tesco-Supermarkts auf der anderen Seite der Brücke auszublenden.
Samanthas Wohnwagen war ein großer, länglicher Kasten – er sah mehr nach einem Baucontainer aus als nach einem der Vehikel, die an einem langen Wochenende im Sommer den Verkehr zum Erliegen bringen. Das Spalier, das sich rings um den Caravan zog, war mit Kletterrosen überwuchert. Immerhin hatte auf diese hier niemand gekotzt. Sie stand in der Tür und wartete auf ihn, während er das mitgebrachte Essen aus DI Steels Auto lud.
»Du hast dir aber Zeit gelassen.«
»Dafür gibt’s auch das volle Programm.« Logan hielt zwei weiße Plastiktüten und einen großen quadratischen Karton hoch. »Pizza, Knoblauchbrot, ein Liter Cola und eine Packung Mackies Vanille.«
»Ah ja …« Sie wartete, bis er den Wagen abgeschlossen hatte. »Hätte dich gar nicht so als den Sportwagentyp eingeschätzt.«
»Ich passe nur auf die Karre auf, bis Steel wieder … auf dem Damm ist.« Es war billiger als ein Taxi, und bis Steel nüchtern genug wäre, um wieder fahren zu können, würde es doch noch eine Weile dauern, oder? Und schließlich hatte sie ihm die Schlüssel gegeben.
Drinnen erwies der Wohnwagen sich als fast so geräumig wie Logans Wohnung. Sam machte mit ihm einen kleinen Rundgang: Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche und Bad, alles in verschiedenen Dunkelrot- und Lilatönen gehalten. Jede horizontale Fläche war mit Büchern, Drachen, Totenköpfen aus Zinn, Kelchen und Kristallen vollgestellt. Und das Ganze wurde erhellt von zahllosen flackernden Kerzen. Er kam sich vor wie in einer
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