Blinde Zeugen: Thriller
Geisterbahn.
Logan blieb im Wohnzimmer stehen. »Ist ja richtig … gruftig hier.« Das Einzige, was ein bisschen aus dem Rahmen zu fallen schien, war ein uralt aussehender orangefarbener Teddybär, der einen Ehrenplatz auf einem Stapel Stephen-King-Romane hatte.
»Hast du etwa kleine rosa Einhörner und Laura-Ashley-Tapeten erwartet?«
»Krieg ich Sympathiepunkte, wenn ich sage, die Einrichtung passt zu deinen Haaren?«
»Erst mal her mit der Pizza, Sergeant, dann werden wir schon sehen, was du kriegst.«
Sie quetschten sich nebeneinander auf die Couch und begannen an ihren Kleidern herumzufingern, nestelten an Knöpfen und Reißverschlüssen, befreiten einander von Hemd, T-Shirt, Hosen und Unterwäsche. Logan fuhr mit der Zunge die Kurven ihres Körpers nach, die Umrisse dieses riesigen Ethno-Tattoos in Spinnenform. An der Innenseite ihres Oberschenkels war die Haut unter der schwarzen Tinte von kleinen Wülsten überzogen, die wie Dehnungsstreifen aussahen. Logan küsste sie, und sie bog den Rücken durch, stöhnte … und fluchte, als sein Handy wie verrückt zu piepsen und zu trällern begann.
Sie lagen da im Kerzenschein und lauschten dem schrägen Konzert des Mobiltelefons.
»Na los«, sagte sie. »Geh schon dran.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Aber es ist vielleicht dienstlich.«
»Ich weiß.« Logan machte da weiter, wo er unterbrochen worden war, und küsste sie mit jedem Wort noch ein Stückchen weiter oben. »Genau – deshalb – geh – ich – nicht – dran.«
»Oh ja …« Das Handy verstummte. »Oh ja … Mmmmm, o Gott …« Und das Gedudel setzte von Neuem ein. »Oh, verdammte Kacke!«
»Sekunde.« Logan machte die Wohnzimmertür auf, warf seine Jacke in die Diele und machte die Tür wieder zu. »Also, wo waren wir stehengeblieben?«
Sie lagen ineinander verknotet auf dem Boden des Wohnwagens und lauschten den ersten Regentropfen, die auf das dünne Dach trommelten. Die Uhr am DVD-Spieler zeigte 21:15, als Samantha im Kerzenschein sanft mit den Fingerspitzen über das Labyrinth aus Narbengewebe auf Logans Bauch strich, gerade so, als wären seine Messerwunden eins von diesen Rätseln, bei denen man die einzelnen Punkte zu einem Bild verbinden muss.
Es war ein beunruhigendes Gefühl, aber in der wohligen postkoitalen Trance ließ er es sich gefallen.
Draußen in der Diele begann das verbannte Handy schon wieder zu dudeln.
Samantha streckte sich wie eine Katze, wobei sie ihm ihre Tattoos auf verstörend einladende Weise präsentierte. »Irgendwann wirst du drangehen müssen.«
Logan knurrte.
Sie bohrte ihm den Finger in die Rippen. »Na los. Bring’s hinter dich; ich hol uns inzwischen ein paar Flaschen Bier, und dann können wir das Eis aufmachen.« Sie stand auf und verschwand in der Diele. »Ich glaube, es ist auch noch ein bisschen Knoblauchbrot da …«
Logan hievte sich hoch und tappte hinaus in die Diele, wo seine Jacke lag. In diesem Moment wurde der Anruf auf die Mailbox weitergeleitet. Köstliche Stille. Er zog das Ding aus der Innentasche. Laut Anzeige hatte er zweiundzwanzig Nachrichten.
Doch bevor er sie abhören konnte, trällerte das Handy schon wieder los.
Er klappte es auf. Die Nummer kannte er nicht. Er drückte die Taste. »McRae.«
Schweigen.
»Wenn Sie sowieso nichts zu sagen haben, hören Sie verdammt noch mal auf, meine Nummer zu wählen. Ich –«
» Ist das der … « Pause. » Sind Sie dieser Polizist, Detective Sergeant McRae? « Es war eine Frauenstimme, und sie klang jung. Verängstigt.
Logan schlenderte ins Wohnzimmer zurück, wo seine Klamotten über den ganzen Teppich verstreut lagen, und unterdrückte ein Gähnen, während er sich nackt, wie er war, aufs Sofa sinken ließ. »Was kann ich für Sie tun?«
» Sie war’n doch gestern hier. In Harry Jordans Bude, ja? Sie haben gesagt, ich könnt’ anrufen … «
Das hatte er völlig vergessen. Er gähnte. »Ist Sheila bei Ihnen gewesen? Die Ärztin?«
» Es ist was passiert, okay? Es … « Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. » Sie müssen herkommen. Sie müssen sofort kommen, ehe es – «
»Das kann ich nicht. Ich bin nicht im Dienst. Ich werde Ihnen einen Streifenwagen vorbeischicken und –«
» Nein! Sie müssen selber kommen! Sie müssen! Sie haben Kylie eine Ärztin organisiert. Wir trauen sonst keinem. « Wieder eine Pause, und als die Stimme am anderen Ende weitersprach, klang sie tränenerstickt. » Bitte, Sie haben’s doch versprochen! «
»Aber –«
» Bitte!
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