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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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verwurzelt Mary war, und lächelte. »Ich weiß, was Sie meinen.«
    »Sie liebt den Südwesten, die Wüste, die roten Felsen - und so. Aber alles andere findet sie faulen Zauber. Santa Fe beziehungsweise was daraus geworden ist, das Restaurant, in dem wir jetzt sitzen«, er fuchtelte mit der Gabel herum, »das ganze Tamtam, die Galerien, die Schickeriafeten. Sie hat etwas unheimlich Überlegenes, wenn das der richtige Begriff ist. So, als könne sie«, er hielt inne und schob das Maisblatt einen Millimeter zurück, »auf alles Überflüssige verzichten. Dieses Maisblatt, zum Beispiel, wenn es einen Ort, einen Menschen umhüllen würde ... Mary würde es einfach abreißen. Aber einerlei, eine wandelnde Reklame für Santa Fe ist sie sicher nicht. Ganz anders als die meisten Leute, die man hier trifft.«
    »Alle«, warf Jury ein, lächelte und erinnerte sich an seinen Frühmorgenspaziergang.
    »Genau. Und Sedona - das Angela so toll fand -, na, Sedona ist nach Marys Meinung noch schlimmer. >Warum sollten bestimmte Teile der Erde mehr Kraft verströmen als andere?< Einmal haben wir uns über Energiepunkte gestritten. Wir drei redeten über Se-dona und Steinkreise - Avebury, Stonehenge, die Ley-Linien. Mary liest viel, im Endeffekt vielleicht mehr als Angela jemals gelesen hat. Und wenn jemand, den sie mochte, sich für ein Thema interessierte, dann besorgte sie sich ein Buch darüber, um mitreden zu können. Himmel, sie muß ihre Lehrer wahnsinnig machen, wenn sie sie auch selten genug sieht. Schwänzt bestimmt häufig.« Anders neigte den Kopf, als analysiere er die neue Beziehung, die er zwischen dem Maisblatt und dem Kürbispudding hergestellt hatte. »Egal, an dem Tag haben wir alle zusammen im Laden Kamillentee oder was ähnlich Widerwärtiges getrunken, und da fing Angela mit Avebury und den Ley-Linien an. Das war kurz vor ihrer Reise.« Anders schwieg, sah traurig aus, nahm das Weinglas und behielt es in der Hand. »Angela redete also über Ley-Linien, und plötzlich sagte Mary: >Da kannst du genausogut an Ufos glauben.< Angela widersprach heftig. Sie wurde immer stinkwütend, wenn Mary so redete.«
    »Eine Frau ärgert sich über die Ansichten eines dreizehnjährigen Kindes? Das ist doch ein bißchen irrational.«
    »Na ja, aber was für eine Dreizehnjährige!«
    Nils Anders lachte so nervös, daß Jury ihn anschaute, aber Anders starrte wieder auf seinen Teller.
    Tief in seine Gedanken versunken, sagte er: »Ich wünschte, sie wäre zehn Jahre älter.« Er mied Jurys Blick.
    Jury merkte, was für einen Kummer dem Mann dieses Eingeständnis bereitete, und sagte: »Ich auch, was soll's.« Überrascht sah Anders ihn an. Jury fuhr fort: »Ich habe gerade mal - wieviel Stunden mit diesem Mädchen verbracht? Sieben oder acht. Man hat das Gefühl, es seien sieben oder acht Jahre gewesen. Sie hat etwas überaus Komplexes, ja Verstörendes. Ich weiß genau, was Sie mit dem Verzicht auf alles Überflüssige meinen. Vielleicht liegt es daran, daß sie ohne Eltern aufgewachsen ist und sich soviel selbst überlassen ist, vielleicht daran, daß sie immer in der Wüste sitzt und nachdenkt, oder daran, daß sie sieht, wie diese ganzen Pseudotypen Pseudodinge tun. Ich weiß es nicht. Aber Mary Dark Hope macht nicht den Eindruck - auf mich jedenfalls nicht - eines typischen pubertierenden Teenagers.«
    Anders entspannte sich ein wenig. Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Ich kam mir ja schon langsam pädophil vor.«
    »Wie wir uns vorkommen, ist eine Sache, was wir tun, eine andere.« Jury schaute sich in dem rappelvollen Raum um und dachte nach. Dann fuhr er fort: »Vor kurzem war ich in Baltimore. Zufällig um die Zeit, als Edgar Allan Poe Geburtstag hatte. Wenn wir damals, im neunzehnten Jahrhundert, gelebt hätten, wäre es wohl niemandem in den Sinn gekommen, an einer Beziehung zwischen einer Dreizehnjährigen und einem erwachsenen Mann Anstoß zu nehmen. Aber heute? Alle würden Zeter und Mordio Schreinen. Kindesmißbrauch! Sehr heikles Terrain, und das ja auch mit Recht. Aber was wäre aus E. A. Poe und Virginia in unserem Jahrhundert geworden? Sie hätten keine Chance gehabt. Man hätte Poe eingesperrt.« Und mit einer Traurigkeit, deren Vehemenz ihn selbst überraschte, fügte Jury hinzu: »Und >An-nabel Lee< wäre nie geschrieben worden.«
    Anders schob sein mittlerweile sicher kaltes Essen immer noch auf dem Teller herum.
    »Nils«, sagte Jury, »warum essen Sie das nicht und hören auf, das Geheimnis der Beziehung

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