Blinder Eifer
»Nicht nach dem Mord vor ein paar Jahren.« In den er sogar verwickelt gewesen war, weil eins seiner Möbelstücke, ein wertvoller Sekretär, eine tragende Rolle darin gespielt hatte.
»Aber sie ist doch gar nicht allein.«
»Nein?« sagte Melrose und beugte sich vor.
»Wie bitte?« Trueblood spitzte die Ohren.
Trevor studierte die Fingernägel seiner Hand, die nun flach vor ihm lag. »Ach, Sie wissen schon, sie bleiben lieber unter sich. Und ich bin auch niemand, der rumredet.«
O doch, o doch. Genau deshalb waren Melrose und Trueblood ja hier.
»Wir haben gehört, sie sind aus London. Aus den Docklands, um es genau zu sagen. Hätten das Haus für ein Jahr gemietet.« Das entsprach wenigstens der Wahrheit.
»Ah ja, kann sein.«
Klatschmäuler! dachte Melrose seufzend. Wenn man ihnen nicht zuhören wollte, konnte man sie nicht zum Schweigen bringen .
»Und sie sind richtig angetan vom Jack and Hammer«, sagte Trueblood.
Das provozierte nun allerdings eine Reaktion.
»Vom Jack and Hammer?« Sly riß sich das Handtuch, mit dem er Gläser poliert hatte, von der Schulter und schlug damit auf die Luft ein, als könne er vor lauter Fliegen nicht atmen. »Da würden sie nie im Leben hingehen. Nicht, wo das Parrot so in ihrer Nähe liegt und sie hier richtiges Bier kriegen und nicht die gelbe Brühe, die Dick Scroggs zapft. Nein, nein, Miss Fludd hat neulich noch gesagt -«
»Miss Fludd?« sagten Plant und Trueblood wie aus einem Munde und beugten sich über den Tresen wie schiffbrüchige Matrosen über den Rand des Rettungsboots, so begeistert bei dem Ruf »Land«, daß sie mit Freuden hingeschwommen wären.
»Ja, genau. Miss Fludd hat - na, na, na, hallo, hallo, hallo!«
Diese stammelnden Begrüßungsworte schwirrten an ihnen vorbei Richtung Tür.
Melrose drehte sich um.
Im Türrahmen stand ein junges Mädchen in einem alten schwarzen Regenmantel, ihr Haar hatte die Farbe des Mantels. Im Gegenlicht konnte Melrose weder ihre Augen noch deren Farbe oder Ausdruck erkennen. Als sie hereinkam, geschah das unter einigen Schwierigkeiten, denn ihr rechtes Bein steckte in einem schweren, sperrigen Stützapparat, und sie zog es nach. Dennoch bewegte sie sich lächelnd und mit einer Energie, als trage sie lediglich ein ziemlich schweres Paket, eine unbequeme Last, die sie bald absetzen konnte und loswurde. Sie trug in der Tat ein sehr kleines Päckchen unter dem Arm.
»Hallo, Mr. Sly«, sagte sie, zog sich auf einen Barhocker und lächelte erst Trevor Sly, dann die beiden anderen Gäste an. Sie befreite sich aus dem schwarzen Regenmantel, unter dem sie ein taubengraues, schlichtes Kleid trug. Einen Moment lang musterte sie das Kleid (wie ein Kind, das sich vergewissern will, daß es auch wirklich angezogen hat, was es wollte) und lächelte wieder.
Ihr Gesicht war ruhig und sanft und das Lächeln regelrecht beseelt, als sei es ihr geschenkt worden. Mit einer Geste bat sie Trevor Sly zu sich, der am Tresen entlang zu ihr ging. Sie redete leise auf ihn ein, öffnete das Päckchen und bot ihm etwas an, das wie ein Stück Kuchen oder ein dünner Keks aussah. Er nahm ein wenig davon, kaute und nickte. Dann begab er sich zurück zu den Zapfhähnen, um ihr etwas zu trinken zu holen, und sie lächelte Plant und True-blood zu, als habe sie gerade ein schlaues Kunststück vollführt.
Melrose schaute sie reichlich verwirrt an, er fühlte sich, als sei er über den Rand des Rettungsbootes gefallen. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Leiden mochte ein junges Gesicht alt machen; Dulden ein altes jung. Melrose schätzte sie auf Anfang Dreißig, und dann wieder dachte er, sie könne genausogut dreizehn sein. In ihrem grauen Kleid saß sie einfach da, betrachtete die Zapfhähne, den Spiegel, die Regale mit den Bier- und Kognakgläsern und lächelte, als sei der Zweck ihres Ausflugs gleich erfüllt.
Mit ihrem Lächeln und ihrem Gesichtsausdruck nahm sie Melrose im Nu für sich ein. Sie lächelte wie ein Kind und sah zufrieden aus wie jemand, dessen Mühen und Plagen endlich belohnt werden. Daß sie an einem solchen Ort, dem Blue Parrot, aufkreuzte, an dieser staubigen Straße (wie war sie hierhergekommen?), kam ihm so außergewöhnlich vor wie eine Muschel am Strand, der großen Straße in London, zu finden.
Trueblood neckte sie wegen des kleinen Biers, das Sly ihr servierte. »Tangier! Mein Gott! Krabbeln Sie auch gern in aktiven Vulkanen herum?«
Trevor Sly ließ sein affiges hohes Kichern hören. »Na, na, na, Mr. Trueblood,
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