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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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der Zeitraffer immer.« Macalvie löste die Hauptgräte aus dem Fisch und betrachtete sie. »Mir gefällt, wie geduldig die Naturwissenschaftler sind, wie sie die Experimente ad infinitum wiederholen können. Wie Denny Dench.« Dench arbeitete im kriminaltechnischen Labor.
    Die Gräte erinnert Macalvie an Dench, dachte Jury. Er selbst hatte ihn nur einmal getroffen, und da hatte dieser brillante Kriminaltechniker beim Essen die Knöchelchen einer Wachtel fein säuberlich nebeneinandergelegt.
    »Was halten Sie für die mächtigsten Motive, um einen Mord zu begehen, Jury? Liebe? Habgier?«
    »Rache.« Jury war überrascht, daß seine Antwort so entschieden ausfiel. »Das wußten schon die Griechen.«
    Schweigend blieben die beiden sitzen und schauten zum Fenster auf den Fluß hinaus. Ein Stück der dunstig-orangenen Sonne schaute gerade noch über die Baumkronen. Der Himmel war beinahe purpur-farben. »Wie beim Regenbogenmechanismus«, sagte Macalvie nach einer Weile. »Als seien es einzelne Farben, verschiedene Farbbögen, aber in Wirklichkeit laufen sie alle ineinander. Wenn sie überhaupt existieren.« Sein Blick blieb auf das Fenster, den Himmel gerichtet. »Sie war erst dreißig. Wenn man fünfzig oder sechzig wird, hat man wenigstens die Chance, was zu begreifen. Nicht, daß man sie nutzt, aber man hat sie wenigstens gehabt. Einen gültigen Versuch.«
    Einen gültigen Versuch, dachte Jury und beobachtete, wie der Schwan unter den tropfenden Zweigen am anderen Ufer des Flusses dahinglitt, als werde er von der Strömung des Wassers angetrieben. »>Voll Liebe sah ich sie dort ziehn .<«
    Fragend hob Macalvie eine Braue.
    Jury hatte gar nicht gemerkt, daß er laut gesprochen hatte. »Ein altes Gedicht oder ein altes Lied.« Er wandte sich wieder dem Abendhimmel und dem Fluß zu.
    Dann ging sie heim und ein Stern erwacht, Und der Schwan gleitet über den See durch den Abend.
    Urplötzlich fiel Jury aus seiner heiter gelassenen Stimmung in entsetzliche Traurigkeit. Er versuchte, sich dagegen zu wehren, und sagte: »Ich rede noch einmal mit Lady Cray. Und der Kripo in London.«
    »Ich wußte, Sie kommen zur Vernunft.«
7
    Hinter dem Bentley wirbelte gelber Staub auf, als Melrose Plant und Marshall Trueblood über die unbefestigte Straße holperten, die von der Northampton Road zum Blue Parrot führte.
    »Ich habe mich schon immer gefragt, wer außer uns so blöde ist, hierherzukommen. Das Pub ist eine gute Meile von der Hauptstraße entfernt, und dann nichts als kahle Äcker drum herum. Sieht aus wie in der Wüste.«
    Das Blue Parrot war ein unscheinbares Gebäude mitten im Nichts, das man gar nicht finden würde, wenn Trevor Sly nicht so umsichtig gewesen wäre, ein großes, knallbuntes Schild an der Northampton Road zu postieren. Das Pub machte seinem Namen alle Ehre. Es war leuchtend blau gestrichen und mit einer nicht weniger auffallenden kleineren Version des Schildes an der Straße geschmückt. Darauf waren eine verschleierte Dame mit juwelenbekränzter Stirn und ein paar rauhe turbangeschmückte Kerle zu sehen. Sie mußten gerade von ihren Kamelen gestiegen sein, denn ihre Reittiere waren an einen Pfosten gebunden. Durch die offene Tür der Lasterhöhle auf dem Schild konnte man verschwommen sehen, wie eine Bauchtänzerin ihrem Gewerbe nachging.
    Seit Melrose' letztem Besuch war noch eine Wüstenszene hinzugekommen, die dem Laden afrikanisches Flair geben sollte. Gras war nie vor dem Blue Parrot gewachsen, aber um einen trockenen Springbrunnen sprossen bräunliche Stoppeln. Der Brunnen war natürlich immer noch trocken, doch nun, wie das Pub selbst, von Sand umgeben. Und auf einer eisernen Stange über einem Fenster schaukelte ein riesiger blaugrün angemalter Vogel mit einem gelben Schnabel, der von einem Wanderfalken bis zu einem Geier alles sein konnte. Sanft wiegte er sich in einer erfrischenden Brise.
    »Regen? Rieche ich Regen?« röchelte Marshall mit ausgedörrter Kehle.
    »Hier nicht. Unmöglich.«
    Das gelblichorangefarbene Licht, in das die sinkende Sonne draußen alles tauchte, drang nur bis zur Tür. Dahinter, im Inneren, dräute pechschwarze Dunkelheit.
    »Ich kann nichts sehen! Ich bin blind!« schrie Trueblood und verkrallte sich in Melrose' Ärmel.
    »Ruhe!« Melrose schob den Perlenvorhang (ebenfalls neu) beiseite, der dem Eingang das Aussehen eines kleinen Alkoven verlieh. Jenseits des Vorhangs floß graues Licht durch die Fensterjalousien. Deckenventilatoren surrten leise, Palmenwedel bewegten

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