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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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als ich sie anbringen sollte.«
    Auf dem Parkplatz vor der Kathedrale standen mindestens ein Dutzend Busse. Diesmal tobten Schulkinder ohne Uniform über die Wiese, spielten Fan-gen und machten allerlei Unfug. Vermutlich sollte der Ausflug in die Historie ihnen ein Bildungserlebnis bescheren. Sie waren hier, um etwas zu lernen. Beim Anblick von drei Mädchen in Jacken und Pullovern, die einen sehr dicken Jungen jagten, bezweifelte Jury, daß sie sich sonderlich für das Martyrium des heiligen Bonifatius oder die Brandschatzung der Abtei interessierten. Andere Kinder standen herum und beobachteten eine alte Frau mit einem Fahrrad voll Säcken. Sie streute einer Taubenschar Futter hin und schien sich mit den Tauben zu unterhalten, nicht mit den Kindern. So nahe würde die Kinderschar dem heiligen Franziskus wohl nie wieder kommen, dachte Jury.
    Mit den drei Damen, die an dem langen Tisch gegenüber dem Chor saßen und Kissen für Stühle bestickten, stand Macalvie mittlerweile auf gutem Fuß. Sie begrüßten ihn freundlich nickend. Sie waren von unterschiedlichster Leibesfülle, hatten einen rosigen Teint und graues Haar und hätten Schwestern sein können. Macalvie hielt es selten für nötig, sich bei Zeugen einzuschmeicheln, um Informationen zu bekommen; diese drei jedoch hießen ihn herzlich willkommen und schienen entzückt zu sein, ihn zu sehen.
    In Anbetracht dessen, daß Helen Hawes »es am Herzen hatte«, war ihr Zusammenbruch nicht so überraschend gekommen. Nur die Umstände waren überraschend. Trotzdem, hier in Saint Peter's tot umzufallen, während sie die liturgischen Kissen betrachtete, die ja auch das Produkt ihrer Arbeit waren, war wahrscheinlich viel besser, als in einem Krankenhausbett zu sterben. Die unangenehmen Begleiterscheinungen ihres plötzlichen Todes wurden jedenfalls dadurch gemildert, daß sie sich bis zuletzt ihrer Arbeit hatte widmen können. Nun aber wurde die Sache (durch Macalvie und Jury) sogar noch spannend und mysteriös, wobei das Mysterium weniger religiöse als vielmehr sehr weltliche Ursachen hatte.
    Macalvie nahm das Foto aus dem Hefter. Bevor er es herumgehen ließ, erklärte er ihnen, sie müßten es nicht anschauen, wenn sie nicht wollen, es sei die -keineswegs grausige - Aufnahme einer toten Frau. Sie zeige nur das Gesicht, die Augen seien geschlossen. »Ein Foto aus dem Leichenschauhaus.«
    Natürlich siegte ihre Neugierde sofort über eventuelle Empfindsamkeiten. Sie nickten schon zustimmend, bevor Macalvie noch seine (für ihn) ausführlichen Erklärungen beendet hatte. Bei dem Wort »Leichenschauhaus« spürte Jury, wie sich eine beinahe freudige Erregung am Tisch breitmachte.
    »Wir überlegen, ob Helen Hawes diese Frau gekannt hat«, erläuterte er. »Angela Hope, eine Amerikanerin aus Santa Fe. Am sinnvollsten wäre, wenn Sie es alle zunächst anschauen und sich erst danach besprechen würden. Ich rechne gar nicht damit, daß eine von Ihnen sie erkennt. Aber wenn irgend etwas an ihr ist, das Sie an Helen Hawes erinnert ...«
    Gehorsam ließen sie das Foto von Hand zu Hand gehen. Sie sagten nichts. Sie schauten sich nicht an. Zuckten mit keiner Wimper, was Jury am eindrucksvollsten fand. Gertie, Ruth und Vi hatten den Blick fürs Detail, waren daran gewöhnt, das Leben wie durch ein Mikroskop zu betrachten, nicht zuletzt legte ja ihre jahrelange eifrige kunstvolle Stickerei auf den Kissen, Polstern und Meßgewändern lebhaft Zeugnis davon ab. Des weiteren vermochten sie, Anweisungen zu befolgen und die erforderliche Konzentration aufzubringen, sich in einen Gegenstand zu vertiefen. Nachdem sie das Foto genau begutachtet hatten, schauten sie in verschiedene Richtungen weg - zur Marienkapelle, einem gegenüberliegenden Grabmal, zum Hauptschiff. Dann war alles klar. Bedauernd schüttelten sie beinahe gleichzeitig den Kopf. Nein, eine Verbindung zwischen dieser toten Frau und ihrer Kollegin Nell Hawes konnten sie nicht herstellen. Macalvie dankte ihnen für ihre Hilfe. Wenn ihnen noch etwas einfiel, hätten sie ja seine Karte.
    Als Jury und Macalvie gerade gehen wollten, fragte Vi, ob sie schon mit Annie Landis gesprochen hätten.

Macalvie verneinte. »Ist sie auch Stickerin?«
    »Ja. Und sie ist bestimmt zu Hause.« Vi gab Ma-calvie die Adresse und schwieg dann traurig. »Es geht ihr sehr schlecht. Eine Schande.«
    »Schlecht?«
    Die drei beugten sich über ihre Stickerei, als ob sie beteten. Dann sagte Vi: »Sie hat gerade ihre Laborberichte bekommen. Hm .« Ihre

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