Blinder Eifer
»Arbeiten Sie immer noch an Ihren Listen? Ich habe meine schon seit Ewigkeiten fertig.« Sie klopfte mit einem rotlackierten Fingernagel auf einen vor ihr auf dem Tisch liegenden Umschlag. »Letzter Abgabetermin ist morgen früh; das haben Sie selbst gesagt.«
»Stimmt. Aber ich kann mich bei dem Namen der Ehefrau nicht entscheiden.« Hingebungsvoll kaute Marshall Trueblood an seinem Bleistift und starrte Löcher in die Luft. Mit den Namen der drei Kinder war er zufrieden, nicht aber mit den Namen, die er für die Mutter dieser Mischpoke aus Chelsea ausgesucht hatte.
Diane redete weiter. »Wenn diese Familie hierherzieht, bedeutet das hoffentlich nicht, daß London Long Piddleton entdeckt hat, um Gottes willen. Bisher sind wir von solcherart Menschen verschont geblieben.«
In Anbetracht dessen, daß Diane Demorney direkt aus London nach Long Piddleton gezogen war, und zwar ohne Zwischenstopp in einer Dekompressionskammer für solcherart Menschen, unterschied sie sich von einem »Emigranten« aus London, sprich von solcherart Menschen, kaum. Worauf Melrose sie diskret hinwies.
»Machen Sie sich nicht lächerlich. Ich bin weder aus Chelsea noch vom Sloane Square, und schon gar nicht aus South Kensington. Ich habe ganz am Ende der King's Road gewohnt, praktisch in Parson's Green, was ja wohl kaum >in< ist.« (Diane fand es neuerdings »in«, »out« zu sein.) »Und außerdem habe ich sowieso nicht den Nerv zum Wochenendmenschen. Angeblich wollten sie doch schon lange in Wa-termeadows einziehen. Wo bleiben sie?«
»Vermutlich machen sie wie die Royais einen auf Landleben«, bemerkte Trueblood.
Melrose schrieb einen Namen auf seinen Block. »Da werden sie aber enttäuscht sein. Hier in der Gegend geht das nicht.«
Vivian Rivington ließ Frühling Frühling sein und wandte sich vom Fenster ab. »Reden Sie nicht so einen Unsinn; das geht doch nirgendwo mehr.« Ihr von Natur aus rosiger Teint war ziemlich blaß, und der gräßlich artischockenfarbene Pullover war auch nicht dazu angetan, ihrer Haut oder dem kastanienbraunen Haar Farbe zu verleihen.
»Der Wochenendmensch schafft das überall. Sich aufs Land zurückzuziehen, ist eine Geisteshaltung. Mit königlichen Affären und Scheidungen oder gar mit einem bestimmten Landstrich hat das nichts zu tun«, erläuterte Trueblood.
Diane Demorney gähnte und fuhr mit einer Knoblauchzehe über den Rand ihres Glases. Dick Scroggs war endlich zur Stelle und mixte einen frischen Martini a la Demorney. Die Knoblauchzehe - existentiell notwendig für den perfekten Martini, behauptete sie - mußte sie selbst beisteuern. Das passende Glas steuerte sie auch bei. Und der Wodka war ebenfalls eine Demorneysche Trouvaille: In der Flasche befand sich Büffelgras, das heißt, es schwammen lange, fadenähnliche Dinger darin herum, die aussahen, als stammten sie vom Meeresboden. Trueblood nannte ihn Käpt'n-Nemo-Martini.
Der Wochenendmensch, den Trueblood eben beschrieben hatte, war in Wirklichkeit eine Wochenendfamilie, die angeblich den Landsitz namens »Water-meadows« zwischen Long Piddleton und Northampton gepachtet hatte. Dummerweise konnten sie dem Makler Mr. Jenks keine Informationen dazu entlocken. Dieser, ein dünnes Männlein in den Sechzigern, besaß viele Laster. Geiz, Habgier und einen durchtriebenen Charakter, der mit unverbindlicher Höflichkeit überzogen war wie ein Filet Wellington aus Knorpelfleisch mit einer leckeren Kruste. Unbeliebt hatte er sich jedoch gemacht, weil er das harmonische Ladenensemble in der High Street störte, indem er das Haus neben Trueblood's Antiques annektiert hatte. Einer Tugend konnte er sich allerdings rühmen. Wenn man es denn tugendhaft nennen wollte, keine Informationen über Klienten herauszugeben. Recht bedacht, konnte es sich auch nur um eine weitere Facette seiner Laster handeln: um Gewinnsucht und Heimlichtuerei.
Mr. Jenks hatte sich in einem Laden, an dem ein doppelseitiges Schild prangte, eingerichtet. Die eine Seite warb für sein Makler-, die andere für sein Reisebüro. Je nach Bedarf spielte er auch den Repräsentanten beider Firmen. Der janusköpfige Laden war ein schmales georgianisches Gebäude mit einem Erkerfenster, das Pendant zu Truebloods Antiquitätengeschäft. Und Marshall Trueblood war dementsprechend doppelt erbost ob der Übernahme dieser Räumlichkeiten. Er hatte nämlich selbst schon überlegt, ob er sie zwecks Geschäftserweiterung erwerben sollte. Aber er nahm es wie üblich mit Würde und Anstand und
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