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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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überschreiten. »Oder Dad?« fügte Melrose hinzu und zog eine kleine Tüte Bonbons aus der Tasche. Er nahm einen Colaknaller heraus und zwang sich, darauf herumzukauen, obwohl er wie flüssiger Zucker schmeckte.
    Zwölf Augen - nein, zehn, denn das sechste Kind schien zu blöde zu sein, sich der Augenbinde zu entledigen, und stand bloß mit offenem Mund da - folgten der Bewegung der Hand zum Mund. Das klebrige Einjährige umschlang inbrünstig Melrose' Beine, zerrte und zeterte.
    Nun übernahm der Älteste, ein Junge von zehn oder elf, das Wort. Er tat so, als strafe er die Colaknal-ler mit Verachtung, und starrte Melrose böse an. »Und warum wolln Se das wissen?« Das Kleinkind schrie er an: »Halt den Rand, Spanky!« und versetzte ihm einen ordentlichen Schlag aufs Hinterteil. Womit er dafür sorgte, daß die Lautstärke erheblich zunahm.
    »Darum«, erwiderte Melrose und zog in aller Ruhe eine Tüte Zitronenbrausebonbons heraus. Er lutschte eins und sah, wie ein paar der Kinder sich die Lippen leckten. Nummer sechs tappte immer noch blind herum und fuchtelte mit den Armen. »Ich bin ein Freund«, sagte Melrose.
    »Ach, wirklich? V'lleich is se zu Haus, v'lleich auch nich.«
    »Was du nicht sagst.« Melrose holte eine dritte Tüte heraus und lugte hinein. Smarties. Uach. Er schob sich zwei in den Mund und kaute sie langsam. Das mittlere Mädchen (von vielleicht sechs Jahren) sprang auf und ab und schlang die Arme um sich, als finde sie schon den bloßen Anblick von Smarties erregend. Sie tanzte hinterrücks zur Tür und rief: »Ich hol sie, ich hol sie!«
    »Klappe!« herrschte der größte Junge sie an, rannte hin, schnappte sie von hinten und stieß sie in eine frisch ausgehobene Grube. Sie weinte kurz auf und kam dann dorthin zurück, wo die Action und die Süßigkeiten waren. Der Knabe war wütend auf Melrose, weil er in ihm den Rivalen witterte, der ihm die Kontrolle über die Gruppe streitig machte. Er stemmte die Hände in die Hüften und wiederholte: »V'lleich ja, v'lleich nein.«
    »Dann entscheide dich, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.« Zu lauten »Ooohs« und »Aaahs« kam die Tüte mit den Regenbogenkissen zum Vorschein. Das Einjährige ließ los, erhob sein rotznasiges, triefäugiges Gesicht zu Melrose und schlug mit den kleinen schmutzigen Händen nach der weißen Tüte. Mit spitzen Fingern fischte Melrose das bunte Bonbon heraus und ließ es sich in den Mund fallen. Nun waren vier Tüten zu sehen.
    Das Kind mit der Binde tapste herum und trat auf das Kleine. Der Ältere riß es zurück und befahl »dem dämlichen kleinen Penner«, sich die »dämliche Binde« abzunehmen. Das Mädchen, das er in den Dreck geschubst hatte, briet dem Bruder mit dem kleinen Spaten eins über.
    Melrose zog Tüte Nummer fünf heraus, steckte die Nase hinein und angelte dann ein Sahnetoffee heraus, das hart wie Stein aussah. Das würde er ja nun nie im Leben essen. Er ließ es wieder in die Tüte fallen.
    Das nunmehr sehende Kind stürzte sich auf die Tüte, verpaßte sie und begann, sich direkt neben Melrose' Schuh zu erleichtern.
    »Da sehn Sie's!« schrie eins der Mädchen. »Sehn Se, was Petey jetzt macht! Sie sind schuld!« Es faßte seine Schwester, die aus dem Loch gekrabbelt war, an den Händen, und gemeinsam drehten sie sich im Kreis und sangen:
    Piesel-Pete, Piesel-Pete, bring ihm doch was Süßes mit!
    Dann fielen sie vor Lachen hin.
    Als die letzte Tüte zum Vorschein kam - die sauren Pommes -, flippten alle, selbst der Anführer, aus. Sechs Tüten für sechs Kinder! Sie schrien, kreischten und grabschten nach den Bonbons, die Melrose aber aus ihrer Reichweite hielt. Einen unbehaglichen Moment lang erinnerte er sich an eine schauerliche Szene in einem Tennessee-Williams-Stück, in dem eine Horde gräßlicher Gassenjungen einen armen Teufel überfällt. Na ja, dachte er, wahrscheinlich verdiene ich es, weil ich die Crippsschen Sprößlinge so schamlos provoziere.
    Auf dem Höhepunkt des Spiels flog die Haustür auf, und White Ellie erschien leibhaftig. Die liebe alte Mama, in geblümtem Overall. »Rein mit euch!« Dann sah sie Melrose. »Mich laust der Affe!« Das brabbelte sie in einer Tour vor sich hin, während sie durch Dreck, Müll, Spielzeug und kaputte Gartengeräte zu Melrose watete, um ihre Kinder von ihm zu pflücken, als ob sie welke Rosen köpfte. »Rein mit euch! Gibt Abendessen!«
    »Einen Moment!« sagte Melrose, hielt sie zurück und schenkte jedem Kind feierlich ein weißes Tütchen.
    Sie

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