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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Oberkellner persönlich geleitete sie zu einem Tisch. Eine erstaunliche Anzahl von Gästen dinierte bereits, sie mußten vor halb acht gekommen sein. Liebe Güte, war das der neue Trend? Dinner um sieben? Melrose schauderte es regelrecht, als er Bea zu dem Tisch folgte. Wenn man die Abendstunden zwischen acht und zehn nicht beim Dinner totschlagen konnte, wo sonst? Vorm Fernseher? Das Paar am Nebentisch verspeiste schon den Nachtisch. Wenn die beiden nicht aufpaßten, waren sie um Viertel vor acht fertig.
    »Is was?« fragte Bea, als sie ihre Tasche auf dem Boden abgestellt hatte und ihre Serviette auseinanderschüttelte. »Sie sehen schrecklich aus.«
    »Ob was ist? Nein, nein. Ich habe nur gerade daran gedacht, wie die Frau da in der Tate gestorben ist. An den Tod. Wissen Sie ...«
    Bea interessierte sich nicht für den Tod, sondern für die Speisekarte, die sie gierig las. Die Zunge zwischen den roten Lippen las mit.
    Hm, auch das war ja wohl eine Art Tod, oder etwa nicht? Um sechs, sieben mit dem Dinner fertig? Grauenhafte Aussichten! Zum Beispiel Agatha, die würde abends noch einmal auf seiner Schwelle auftauchen, nachdem sie ihr Mahl in der Plague Alley eingenommen und noch reichlich Zeit hatte, um zu Portwein und Keksen nach Ardry End zu radeln.
    Nein! Wenn es soweit kam, würde er ins Jack and Hammer gehen und dort bis zur Sperrstunde ausharren. Aber das Jack and Hammer war der Aperitif, nicht das Gebäck und der Port. Seine tägliche Routine durfte nicht gestört werden.
    Als er sich in dem Restaurant umschaute, das im Art-deco-Stil eingerichtet und mit jeder Menge Lichtenstein- und Duchamp-Drucken behangen war, überlegte er, ob sich hier einmal ein Pub befunden hatte. Die alten Pubs schwanden auch dahin, man mußte nur an die Docklands denken: Das Town of Ramsgate und das alte Grapes waren keine Kneipen mehr, in die ein Fischer, ein Kaimeister oder ein normaler Arbeiter gingen. Sie waren alle umgekrempelt und aufgemotzt worden für die nach oben mobilen Manager und Anwälte, die in einem der umgebauten Lagerhäuser wohnten. Über das Pflaster ratterten und klapperten keine Fischkarren mehr. Jetzt zischten Jaguar XJ-6er und BMWs durch den Regen.
    Der Ober gab Melrose die Weinkarte. Damit konn-te er sich wenigstens beschäftigen, während Bea über der Speisekarte schnalzte (die Preise! Manno!). Als ihr Melrose noch einmal klipp und klar sagte, Geld spiele keine Rolle, sie solle bestellen, was sie wolle, meinte sie, sie hätte Bock auf Steak mit Pommes frites. Was ihn nicht überraschte.
    Den Ober überraschte sie allerdings mit der Frage, ob »frites« bedeute, daß sie gebraten seien. Seine Nase schien sichtbar länger zu werden, als er Madame informierte, ja, sie seien »fritiert«. Melrose bestellte eine Flasche Château Latour und für sich nur eine Vorspeise: Foie gras mit Limone.
    Als der Ober mit der Bestellung davonsegelte, drehte Bea sich demonstrativ um und betrachtete seinen entschwindenden schwarzbefrackten Rücken. »Widerling. Würde mich am liebsten gleich rauswerfen. Mehr wollen Sie nicht, nur die Vorspeise?« fragte sie.
    Worauf er antwortete, er habe sehr spät zu Mittag gegessen und könne sich jetzt nicht den Bauch mit einem üppigen Hauptgang vollschlagen. In Wirklichkeit freute er sich schon auf den Boudin blanc mit Senfsauce, den seine Köchin Martha für ihn bereithielt. Das Gericht liebte er vor allem, weil es Agatha so wirkungsvoll abschreckte. In ihren Augen war es schlicht ekelhafte Weißwurst. Dazu gab es gewürzte Bratäpfel, wenn er sich richtig erinnerte. Verstohlen schaute er zur Uhr. Um zehn konnte er wieder in Long Pidd sein, vielleicht sogar schon um halb zehn, wenn sie sich nicht zu lange im Dotrice aufhielten.
    Aber er mochte Bea. Ihm gefiel, daß sie aus ihrer Freude an dem teuren Interieur, den gutbetuchten Gästen und dem französischen Menü kein Hehl machte. Er probierte den Wein, verkündete, er sei exzellent, und der Ober schenkte ihnen ein. Melrose beobachtete, wie Bea das tolle Ambiente, das sich von ihren üblichen Käse-Salat- oder Ei-Mayonnaise-Sandwich-Bars gründlich unterschied, genoß und lächelte. Bea hatte etwas (Gabe auch, nach dem, was er gehört hatte), das nicht ganz zu dem Bild von zwei flippigen jungen Leuten paßte, die sich in solch hehren Räumlichkeiten wie der Tate Gallery abknutschten. Das sagte er auch.
    Bea pikste den Radicchio aus ihrem Salade Dotrice und erwiderte: »Ach, Gabe, der ist so. Der sieht gern, wie die Leute reagieren.«

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