Blinder Einsatz
die Bibliotheken, die Plätze, auf denen man sich im Frühjahr gerne mit einem Buch in der Hand niederlässt, die zutraulichen Eichhörnchen. Auf den ersten Blick ähnelten sich Champaign und Harvard. Dennoch war der Stolz in den Augen meiner Mutter unverkennbar. Ich trat in eine Elite-Universität ein, was für sie mehr zählte als alle Titel und Diplome. Ihr war es bei meiner Erziehung nie nur um irgendwelche Abschlüsse gegangen, sondern vor allem darum, dass sich mir der Zugang zur Welt eröffnete. Die Schule war für mich immer nur ein notwendiges Übel gewesen, das man hinter sich brachte, um voranzukommen. Aber Boston und Harvard, das war schon ein anderes Kaliber: Hier zu studieren, das bedeutete auch, den Erfolg wirklich zu wollen. Kurz gesagt, erwachsen zu werden.
Die erste Zeit war ziemlich hart. Ich hatte immer im Schoß der Familie gelebt und war zum ersten Mal ganz auf mich allein gestellt. Auf dem Campus von Champaign hatte mir das Renommee meines Vaters stets die Sympathie aller Studenten gesichert. Doch in Boston war ich zunächst nur ein Student unter vielen, der sich seinen Platz erst suchen musste. Alles war anders: der Akzent, der Kleidungsstil, die Umgangsformen. Und dazu der Druck: viel zu viele Kurse und jede Menge zu lernen. Anfangs fielen meine Klausuren enttäuschend aus. Ich versuchte mich zu trösten, indem ich mich ins Campusleben stürzte. Bei den Mädchen kam ich gut an. Das gefiel mir natürlich, obwohl es mir auch eifersüchtige Blicke meiner Kommilitonen eintrug. Später, als meine Prüfungsergebnisse richtig ins Mittelmaß abrutschten, kam Schadenfreude hinzu. Mein Hang zum Dandytum machte mich nicht bei allen beliebt. Heute kann ich darüber nur noch lächeln.
Liebesabenteuer füllten den größten Teil meiner Zeit aus. Das Leben war für mich eine leichte, aber auch etwas seichte Angelegenheit. Doch dann kam, was früher oder später kommen musste: Ich verliebte mich Hals über Kopf. Natürlich in ein Mädchen, das sich überhaupt nichts aus mir machte. Die Tochter eines Bankiers, die Karriere machen wollte und sich nicht für Typen wie mich interessierte, die außer großen Sprüchen nichts draufhatten. Ich versuchte also erst gar nicht, bei ihr zu landen, so eingeschüchtert war ich von ihrem herablassenden Blick, der nur eines ausdrückte: Dieser Typ bildet sich doch nicht etwa ein, er könnte mir gefallen? Sie war so hochnäsig, dass sie es als Beleidigung empfand, wenn sich jemand für sie interessierte, den sie für unter ihrer Würde hielt.
Als die Klausurergebnisse des ersten Semesters verlesen wurden, versuchte ich anfangs noch, den Gleichgültigen zu mimen, aber in Wahrheit war mein Stolz doch ziemlich angekratzt. Ich wagte kaum, zu ihr hinüberzusehen. Natürlich hatte sie glänzend abgeschnitten. Ich sehe noch heute das arrogante Lächeln in ihrem Mundwinkel, das sie später natürlich leugnete. Ich war wirklich total in sie verknallt.
Es erfüllte mich mit Erleichterung, als ich am Ende dieses ersten wenig erfolgreichen Semesters nach Illinois zu meinen Eltern fahren konnte. Wenn ich jedoch an meine schlechten Noten dachte – die ersten schlechten Noten meines Lebens –, versetzte es mir einen Stich. Doch ich musste mich – wie jeder andere auch – den Schwierigkeiten stellen. Das sind genau solche Momente, in denen sich zeigt, wer man wirklich ist. Solange man Erfolg hat, ist alles leicht. Die Stunde der Wahrheit kommt beim ersten Misserfolg, dem ersten wirklichen Hindernis, das uns das Leben in den Weg legt. Aber all das wusste ich damals noch nicht. Ich wollte vor meinen Eltern einfach nur gut dastehen und mich ein wenig von Harvard erholen.
Der Empfang zu Hause war warm und herzlich. Meine Mutter hatte zur Feier des Tages ein Dutzend Leute zum Essen eingeladen. Meine Rolle dabei: der erfolgreiche Sohn, der in Harvard studiert. Anders ausgedrückt: der Sohn, der zum Erfolg verdammt ist. Es dauerte keine Stunde, und einer meiner Onkel fragte: »Na, jetzt erzähl mal, wie läuft es in Harvard, alles bestens, nehme ich an?«
Das war ein entscheidender Augenblick, wie ich erst später begreifen sollte, denn ich brachte nicht den Mut auf, die Wahrheit zu sagen. »Na klar, Harvard ist im Grunde auch nur eine Uni wie jede andere. Keine große Sache.«
Zwar hatte ich versucht, meiner Antwort etwas Ironie beizumischen, aber das Entscheidende war eben das »Na klar«, das meine Mutter mit einem stolzen Blick quittierte. Wie alle Kinder hatte ich auch schon
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