Blinder Einsatz
und dann seine Wohnung …«
»Nun mal langsam, Constance. Was ist das für eine Geschichte mit der SMS?«
»Ich versuche seit Anfang der Woche, ihn anzurufen, aber er meldet sich nie, er hat mir bloß am Mittwochabend eine SMS geschickt, dass er nach Amsterdam zu einer Konferenz gefahren ist. Aber das stimmt nicht. Ich habe mit Guillaume gesprochen, er hat gar keine Konferenz diese Woche. Ich weiß wirklich nicht mehr ein noch aus.«
»Hör mal, mach dir keine Sorgen. Wenn ihr euch gestritten habt, will er vielleicht nur mal eine Weile abtauchen. Aber du hast auch seine Wohnung erwähnt, was ist damit?«
»Ja, ich bin heute Morgen hingefahren, im Wohnzimmer war das reinste Chaos, überall verstreute Papiere, der Tisch umgekippt. Alles seine Schuld, wenn er endlich mal aufhören würde mit dieser Pokerspielerei, dann bräuchten wir uns auch nicht zu streiten!«
»Du hast recht, er übertreibt es mit dem Poker. Und du sagst, du weißt nicht, wo er jetzt steckt? Warte, ich schaue eben mal was nach. Bleib dran.«
Constance, den Tränen nahe, wartete geduldig.
»Da bin ich wieder. Gute Nachrichten. Ich habe auf einer Website nachgeschaut, die alle Aktivitäten von Online-Pokerspielern registriert. Hugh hat seit Montagnacht 2.30 Uhr nicht mehr gespielt. Normalerweise nimmt er jeden Dienstagabend am Super Tuesday 500k Guaranteed teil. Am letzten Dienstag war er nicht dabei.«
»Willst du damit sagen, dass er nicht mehr spielt?«
»Ob er gar nicht mehr spielt, weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls hat er seit einer Woche an keinem einzigen großen Turnier mehr teilgenommen. Ich habe eben nachgeschaut, ob er online ist. Offenbar nicht. Alles klar bei dir? Soll ich vielleicht nach Paris kommen?«
»Nein, mach dir keine Umstände, es wird sich schon alles klären.«
Vielleicht war Hugh ja in sich gegangen und hatte mit dem Poker aufgehört? Dann würde er sich hoffentlich bald bei ihr melden.
Doch dann fiel ihr wieder der Zustand seiner Wohnung ein, und sie machte sich erneut Sorgen. Sie musste ihn unbedingt erreichen, erfahren, wie es ihm ging. Sie fühlte sich so schuldig und ohnmächtig – und im Grunde wusste sie, dass sie ihn noch immer liebte. Sie wollte ihn – und keinen anderen.
Sie kehrte in die Wohnung zurück. Als sie die verstreuten Papiere zusammentrug, fand sie die Klausuren, von denen Guillaume gesprochen hatte. Sie legte sie auf einen Stapel, um sie sobald wie möglich zurückzubringen. Einige waren unter Hughs Schreibtisch geraten. Zwischen ihnen fand sie das Moleskine-Notizbüchlein, das er immer bei sich trug. Er notierte ständig irgendetwas, das ihm gerade durch den Kopf ging. Im Laufe der Jahre hatte er einen ganzen Karton mit diesen Notizbüchern angesammelt. Von Zeit zu Zeit kramte er eines heraus und lachte mit ihr über etwas, das ihm früher wichtig gewesen war, nun aber albern vorkam. Sie schlug die letzte Seite auf. Der Eintrag stammte vom Montag, dem Tag, an dem er verschwunden war.
2
Kein Spiel ohne Regeln.
Vaclav Havel, Sommermeditationen
Nassau, Bahamas, 30. Juni
Das Atlantis Paradise Hotel erhob sich majestätisch und in festlicher Beleuchtung auf Paradise Island gegenüber von Nassau. Die Sonne ging als gigantisches, farbenprächtiges Fresko über der Stadt unter. Vom Flugzeug aus gesehen glich Nassau einer Krake, die wohlig ihre mit Edelsteinen besetzten Fangarme räkelte. Nassau, wo heute der Tourismus blüht, war einst die Hochburg von Piraten wie Blackbeard gewesen. Erst in der Regierungszeit König Georgs I. von England hatten Recht und Gesetz auf der Insel Einzug gehalten. Sehr viel später, während der Prohibition in Amerika, wurde die Stadt zu einer Drehscheibe des Alkoholschmuggels in die USA. Bis heute ist Nassau eine Stadt, in der Gefahr und Vergnügen dicht beieinanderliegen. Touristen sind gut beraten, einsame Orte zu meiden und nicht zu viel Geld mit sich herumzutragen.
Seit die Amerikaner nicht mehr nach Kuba können, ist Nassau ein beliebtes Reiseziel geworden. Auch für Kapital, das sich unbeobachtet und in aller Stille vermehren soll, ist dies ein geeigneter Platz, ebenso wie für Reeder, die ihre Schiffe unter einer Billigflagge fahren lassen. Die amerikanischen Touristen schätzen das tropische Klima der Insel, die weniger als hundert Kilometer von Miami entfernt liegt, und eine Hauptstadt voller Luxusboutiquen und anderer Attraktionen. Seit ihrer Unabhängigkeit fördern die Bahamas die Ansiedlung internationaler Banken, die sich auf
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