Blinder Einsatz
aufgeschnappt. Anscheinend hat die Firmenleitung ein Problem mit deinem Äußeren. Die Windstoßfrisur, die Krawatte nie richtig gebunden, dass du so locker und sympathisch auftrittst – ich glaube, Richard passt das nicht.«
»Zu mir hat er nie etwas gesagt.«
»Weil du was bringst, das weiß er ja. Und er merkt auch, dass die Leute dich schätzen. Aber das heißt bei ihm nicht, dass er auf seine Prinzipien verzichten will …«
Philippe wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass man ihm bei seinen Leistungen sein Äußeres vorhalten würde. Der Gedanke deprimierte er ihn. In den folgenden Tagen schlich er mit dem Gefühl herum, von tadelnden Blicken verfolgt zu werden. Wenn er über die Flure ging, hielt er den Kopf gesenkt und schaute auf seine schlecht geputzten Schuhe und seine ausgefranste Hose. Von nun an kleidete er sich etwas besser, wenn Präsentationen anstanden. Aber als die neue Firmenstrategie ausgegeben wurde, sich stärker auf klassische Steuerangelegenheiten auszurichten und die innovativen Ansätze zurückzustellen, erhielt er einen weiteren Dämpfer. Damit wurde Philippes Arbeit deutlich langweiliger. Bald stagnierten die Umsätze. Philippe war überzeugt, die Bank würde es eines Tages noch bereuen, die innovative Ausrichtung aufgegeben zu haben. Sicher, die Kunden würden ihre Portfolios nicht von heute auf morgen verlagern. Aber die Inhaber großer Vermögen riskierten schon einmal einen Wechsel, wenn man ihnen nichts als die sicheren, ausgetretenen Pfade bot. Die Reichen liebten eben die Herausforderung, große Gewinne und starke Emotionen.
Da ihm die Arbeit kaum noch etwas zu bieten hatte, verlor Philippe auch das Interesse daran, in London zu wohnen. Der Reiz der Stadt war für ihn verflogen. Er entdeckte, wie grau die Tage sein konnten, und fühlte sich in einem Glasturm eingesperrt. Die Welt um ihn herum hatte Glanz und Farbe verloren. Auch die Beziehung zu seiner Freundin Nancy dümpelte vor sich hin.
»Will ich wirklich hier leben? Wirklich und überhaupt?« Diese Frage ging ihm nun ständig im Kopf herum. Nicht so sehr freilich, dass er seinen Abschluss, seine Praktika, seinen ersten Job, überhaupt die letzten zehn Jahre seines Lebens völlig in Frage gestellt hätte.
Noah, sein bester Freund seit seiner ersten Zeit bei One Search Ltd., versuchte ihm klarzumachen, dass das eine ganz normale Reaktion war. Vielleicht sollte er mal mit seinem Chef unter vier Augen über seine Arbeit reden.
»Ich würde am liebsten alles hinschmeißen. Weit wegfahren …«
»Alles hinschmeißen?«
»Ich muss mal was anderes sehen, andere Leute kennenlernen.«
»Mach mal halblang. Du kramst gerade nach Gründen, um eine Existenz in Stücke zu schlagen, in die du etliche Jahre investiert hast. Was ist schon passiert? Du bist heute Morgen aufgewacht und hast gedacht, du brauchst eine Veränderung. Nimm einfach Urlaub!«
»Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken.«
»In was für einer Sackgasse denn? In welche Richtung willst du überhaupt?«
Noah stellte ihm diese Fragen mit besorgtem Gesicht. Dass Philippe wegziehen wollte, bedrückte ihn. Ihre Freundschaft hatte sich stetig vertieft. Anfangs waren sie zwei verlorene Seelen in London gewesen, die beide noch nicht wussten, wo sie hingehörten, obwohl sie von dem Willen zum Erfolg erfüllt und fest entschlossen waren, all die Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen die große Stadt zu bieten hatte. Sie hatten ihre Erfahrungen und Standpunkte ausgetauscht. Einmal in der Woche trafen sie sich und sprachen darüber, welche neuen Firmen man gründen, welche innovativen Dienstleistungen man anbieten könnte. Sie spornten sich gegenseitig an, in der ihnen eigentlich fremden Bankenwelt voranzukommen. Sie waren voller Energie und wollten die Zukunft erobern.
Noah stammte aus bescheidenen Verhältnissen und war in Nordengland aufgewachsen, während Philippe aus Belgien nach London gekommen war. Anfangs hatte das enorme Tempo der Stadt beiden Schwierigkeiten bereitet. Doch Noah ging bald im hektischen Leben eines Wertpapierhändlers auf. Er hatte One Search Ltd. nach sechs Monaten verlassen und in der Investmentabteilung einer anderen großen Bank angefangen, die ihm bessere Aufstiegschancen bot. Doch dieser Wechsel hatte sie nicht daran gehindert, weiter in Kontakt zu bleiben und Pläne für ein eigenes Unternehmen zu schmieden. Sie träumten davon, die ganze Wirtschaft, ja die ganze Welt umzukrempeln. Eines Tages würde ihnen die
Weitere Kostenlose Bücher