Blinder Einsatz
Ob das vielleicht eine Spur war? Sander notierte sich alles, was ihm durch den Kopf ging, auch wenn es zunächst noch so unsinnig erschien. Er ging die Untersuchung von Anfang an durch, brütete stundenlang über der Akte und arbeitete sich tief in das Leben des Ehepaars Loy ein.
Er befragte die Nachbarn, die sich wunderten, noch einmal mit dieser Geschichte behelligt zu werden, die im Viertel einige Zeit für Unruhe gesorgt hatte. Saskia Loy war Hausfrau gewesen, stets bereit, die Kinder der Nachbarn zu hüten, bei denen sie sich vor allem durch ihre Schokoladenkuchen beliebt zu machen wusste. Seit einigen Monaten hatte sie sich in der Nachbarschaft in einer Hausfrauengruppe engagiert. Sie organisierten Ausflüge, halfen einander bei Geburtstagsfeiern … Allem Anschein nach eine Frau ohne Probleme, wie alle Bewohner dieses schicken Viertels, in dem Geld über Sympathie entschied. Niemand redete hier über seine Probleme oder zeigte eine Schwäche, die ihn womöglich ins Gerede bringen würde.
Niels Loy war leitender Ingenieur in einem Transportunternehmen gewesen, für das er schon fünfzehn Jahre arbeitete. Mit seinem Gehalt durfte er sich zu den wohlhabenden Bürgern zählen. Eine Zeitlang hatte er auch dem Gemeinderat von Bloemendaal angehört. Die Familie Loy hatte gerade ein Ferienhaus in der Bourgogne inmitten von Weinbergen gelegen, abbezahlt und besaß zwei Autos. Sander konnte nichts Verdächtiges entdecken. Alles sah ganz normal aus. Noch einmal nahm er die finanzielle Situation des Ehepaars unter die Lupe. Vielleicht gab es hier irgendwo ein dunkles Geheimnis? Schließlich wurde er fündig: Auf dem Konto gab es einige merkwürdige Abbuchungen. Fast 20 000 Euro in den zwei Monaten vor ihrem Tod, die offenbar nach Malta gegangen waren. Sander rief die Finanzabteilung an, damit die sich die Sache genauer ansah. Er wollte wissen, an wen genau diese Zahlungen gegangen waren. Er notierte sich einige Möglichkeiten: eine Geliebte, Erpressung, Spielschulden?
Während er auf die Ergebnisse wartete, knöpfte sich Sander die politische Karriere von Niels Loy vor. Er fuhr nach Bloemendaal, um Näheres über sein Engagement in der Lokalpolitik zu erfahren. Als Erstes befragte er einige Rathausangestellte. Dabei stellte sich heraus, dass es vor einigen Jahren zu einem Skandal gekommen war: Man hatte Niels Loy vorgeworfen, bei der Vergabe eines Auftrags für das städtische Verkehrsunternehmen seine eigene Firma begünstigt zu haben. Die Lokalpresse und die Opposition hatten sich auf die Sache gestürzt. Obwohl sich Loy nichts hatte zuschulden kommen lassen, wie das eingeschaltete Gericht befand, musste er schließlich doch zurücktreten. Der Prozess war langwierig und unerquicklich gewesen, und bei den nächsten Wahlen hatte er die Lust verloren, erneut zu kandidieren. Diese Geschichte hatte Spuren in der Stadt Bloemendaal hinterlassen.
Sander war auch zu dem Unternehmen gefahren, in dem Niels gearbeitet hatte. Seine Kollegen sprachen wohlwollend über ihn, ohne etwas Besonderes über ihn sagen zu können. Unter den Stadtratsmitgliedern fiel die Meinung über ihn nicht so einhellig positiv aus – die Affäre war manchen noch in nicht guter Erinnerung, auch deshalb, weil der damals strittige Auftrag in drei Monaten erneut ausgeschrieben werden sollte.
Bei diesem Detail wurde Sander hellhörig. Ob vielleicht auch Erpressung hinter dem Mord steckte? Vielleicht hatte Niels die Stimmen einiger seiner ehemaligen Ratskollegen gekauft, um seinem Unternehmen abermals den Zuschlag zu sichern. Fest stand jedenfalls, dass er sich kurz vor seinem Tod mit mehreren Mitgliedern des Stadtrats getroffen hatte. Bloemendaal war eine kleine Stadt, und einmal geknüpfte Seilschaften lösten sich nicht so rasch auf. Angenommen, die Konkurrenten von Niels’ Firma hatten Wind von einem solchen Deal bekommen, dann hätte die Sache durchaus eskalieren können. Sander wusste sehr wohl, dass auch und gerade in einer kleinen Stadt wie Bloemendaal der Spaß ein Ende hat, wenn es um Macht und Geld geht.
Nach und nach kristallisierte sich für Sander ein plausibles Szenario heraus. Trotzdem blieben noch Fragen: Warum war der Sohn nur wenige Tage nach der Ermordung seiner Eltern nach Las Vegas geflogen? Und warum und wie war er dort zu Tode gekommen? Hatte Lars Loy etwas gewusst, das ihn zur Flucht veranlasst hatte? War jemand mit ihm in Kontakt getreten, nachdem er die erste Tranche der Lebensversicherung erhalten hatte? Oder war er gar
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