Blinder Einsatz
Geringste: Auf welche Weise war Eline Haarmet in die Sache verwickelt? Da rollte ein schwarzer Mercedes heran und hielt auf ihrer Höhe. Der Chauffeur stieg aus und öffnete ihr den hinteren Wagenschlag. Constance nahm neben Eline Haarmet Platz, die sie mit dem kalten Gesichtsausdruck der Mächtigen empfing. Das brachte Constance ein wenig aus dem Konzept.
»Nun?«, begann die Europakommissarin barsch.
Constance riss sich zusammen und antwortete: »Ich habe Sie gestern Nachmittag auf dem Square Ambiorix gesehen. Mit dem Mann, dem Sie etwas geben sollten. Ich weiß, dass Sie Poker spielen und dass Sie viel Geld verloren haben.«
»So? Und wenn es so wäre, was wollen Sie damit beweisen?«
»Dass Sie in eine zwielichtige Geschichte um Geld und Online-Poker verwickelt sind, dass Sie geheime Botschaften über Zeitungsannoncen in der New York Times austauschen …«
»Und wegen dieser Lappalie belästigen Sie mich? Ich habe mit Ihren sogenannten Informationen nichts zu tun. Sie begreifen ja noch nicht einmal, was Sie da zu wissen glauben. Lassen wir es dabei bewenden. Aber ich rate Ihnen, in Zukunft vorsichtiger mit Ihren Worten umzugehen.«
Das war eine klare Ansage. Constance war verblüfft, dass das Gespräch so rasch zu Ende war. Der Wagen hielt an, die Tür ging auf. Constance schaute Eline Haarmet ein letztes Mal in die Augen, in der Hoffnung, doch noch eine Schwäche zu entdecken, doch vergebens. Sie stieg aus und erkannte im Blick des Chauffeurs die gebieterische Autorität der Europäischen Kommission.
Völlig verstört stand sie auf dem Bürgersteig und schaute dem Mercedes nach. Im Grunde hatte Eline Haarmet recht: Das, was sie wusste, sofern sie überhaupt etwas wusste, konnte sie nicht richtig einordnen. Für solche Informationen würde sie niemanden interessieren.
Constance hatte das Gefühl, in Brüssel alles falsch gemacht zu haben. Sie hatte es noch nicht einmal geschafft, die Entführung von Hugh und den Tod von Will zu erwähnen. Genau das hätte sie Eline Haarmet als Allererstes ins Gesicht sagen müssen. Das hätte die EU-Kommissarin vielleicht doch verunsichert. Auf jeden Fall hätte Constance ihr damit drohen können, zur Polizei zu gehen und die Presse zu informieren.
Sie musste Eline Haarmet unbedingt noch einmal treffen, bevor sie die Leute benachrichtigte, mit denen sie zusammenarbeitete. Constance hatte keine andere Wahl. Sie erkundigte sich, wie man zum Regency Palace kam. Es war bloß ein Fußweg von zehn Minuten. Constance beschleunigte ihre Schritte. Vor dem Hotel bemerkte sie einen kleinen Menschenauflauf und zahlreiche Kameras. Es gelang ihr, sich unter die Journalisten und Fotografen zu mischen. Vor einem Saal stand ein Schild: »Pressekonferenz der Europakommissarin für Wettbewerb zu den geplanten Antimonopol-Richtlinien.«
Constance zog einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche. So fiel sie unter den Journalisten gar nicht auf. Sie spürte eine gewisse Spannung im Raum. Die Debatte zum Thema hatte sie schon seit einigen Monaten nicht mehr verfolgt. Offenbar erwarteten die Journalisten nun wichtige Neuigkeiten von Eline Haarmet.
Nach zwanzig Minuten trat Eline Haarmet ans Rednerpult. Sie stellte eine Reihe von Maßnahmen der Kommission zur Eindämmung von Monopolen vor und schilderte ihre Arbeit als Fortsetzung der Bemühungen ihrer Vorgänger. Es gehe zunächst darum, die Monopole großer Konzerne in vier Bereichen zu begrenzen, um sie später ganz aufzulösen. Sie nannte Mobiltelefonie, Energie, Online-Casinos und Verkehr. Alles verstand Constance nicht, doch immerhin hatte sie nun eine mögliche Verbindung zwischen Eline Haarmet und dem Poker gefunden. Ging es hier um ein weit verzweigtes Korruptionsnetz? Nachdem Eline Haarmet eine halbe Stunde gesprochen hatte, bat sie um Fragen. Constance hörte nun nicht mehr zu, sondern versuchte nur noch, die Aufmerksamkeit der Europakommissarin auf sich zu lenken. Endlich kam sie an die Reihe, man reichte ihr ein Mikrofon. Constance nahm all ihren Mut zusammen.
»Gute Tag, Marie Dubreuil von der Monatszeitschrift Stratégies .« Das war das erstbeste Blatt, das ihr einfiel, und sie hoffte inständig, dass dessen Redaktion nicht wirklich jemanden geschickt hatte. »Glauben Sie«, fuhr Constance fort, »dass die Online-Casinos sich zu einer Art Parallelmarkt mit mafiaähnlichen Strukturen entwickeln könnten, die vor allem von Steuerparadiesen im Ausland aus operieren und von der Europäischen Union aus kaum mehr
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