Blinder Hass
Sache auf die Spur gekommen«, erklärte er, »aber in dieser verdammten Stadt werd ich niemandem was davon erzählen.« Er grinste sie an, um seine Bemerkung etwas abzumildern und ihr einen spaßigen Anstrich zu geben.
»Also auch mir nicht«, sagte sie und verschränkte die Arme. Immer ein schlechtes Zeichen bei einer Frau, wie Virgil fand. »Das wär ja ganz was Neues«, fügte sie hinzu. »Dass Virgil Flowers den Mund hält.«
»Ich muss mich rasieren«, sagte Virgil. »Du kannst mir dabei zusehen.« Sie folgte ihm ins Bad, und Virgil spritzte sich Wasser ins Gesicht. »Wenn man in einem anscheinend hoffnungslosen Fall in so eine kleine Stadt wie die hier kommt, muss man etwas tun, um die Dinge wieder in Bewegung zu bringen. Also rede ich. Das funktioniert.«
Sie war skeptisch. »Soll das heißen, dass du von Natur aus ein stiller, verschwiegener und introvertierter Typ bist, der nie über irgendwen etwas sagen würde, und dass das alles nur eine Taktik war, um uns Bluestemmers aufzumischen?«
Virgil schmierte sich Rasiergel ins Gesicht. Unter seiner Nase hielt er inne und betrachtete Joan im Spiegel. »Das ist das erste Mal, dass ich ›verschwiegen‹ und ›Bluestemmer‹ in einem Satz gehört habe.«
»Ach ja, willst du mich verarschen?«
»Joanie, du bist eine großartige Frau, und das meine ich ganz ehrlich«, sagte Virgil, »aber ich habe mindestens fünf Tote und einen Verrückten am Hals. Ich bin hierhergekommen, um ihn zu schnappen. Und das werde ich auch tun.«
Sie deutete ein Lächeln an. »Dann ist es also nicht Jesse. Du hast ›ihn‹ gesagt.«
Er spülte den Rasierer unter dem Wasserhahn ab. »Als wir das erste Mal miteinander ausgegangen sind, hab ich gesagt, dass du klüger bist, als ich erwartet hatte. Und jetzt hast du gerade ein Personalpronomen aus mir herausgekitzelt … Willst du mir den Rücken waschen?«
Nachdem Joan weg war, ging Virgil online und checkte seine Mails. Sandy hatte ihm alles geschickt, was sie über Williamson finden konnte, und das war so ziemlich das Übliche. Keine Verhaftungen, drei Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens in zwanzig Jahren, drei Jahre bei der Army, unter anderem 1990 im Irak. War nie verheiratet gewesen. Die Adoptiveltern waren in den Telefonbüchern von Minnesota nicht aufgeführt und hatten seit mindestens zehn Jahren keine Einkommensteuererklärung mehr in Minnesota abgegeben.
Die Informationen über Jesse sah er sich gar nicht erst an. Er kannte Jesses Geschichte. Als Nächstes zu Judd. Etwa eine Stunde lang ging er die Papiere durch, die er über Judd hatte. Olafson, die Steuerberaterin, hatte alles durchgecheckt, doch er hoffte auf einen Namen, ein Ereignis, eine mögliche Verbindung … Und kam nicht weiter als mit Jesse.
Er dachte an den.357er Revolver. Wie lange sollte er damit warten? Wahrscheinlich würde früher oder später jemand vorschlagen, dass man Jesses Haus durchsuchen sollte. Er wollte gern wissen, woher dieser Vorschlag kommen würde, aber er wollte auch nicht zu lange warten.
Virgil erwischte Stryker um zehn Uhr, als dieser gerade mit einem leicht verkaterten Zimmermann sprach, der die Hand, mit der er die Nägel hielt, verbunden hatte. Der Mann erklärte, er wäre mit einem Freund namens Dick Quinn zu dem Feuer hinaufgefahren. Stryker vermied die direkte Frage, ob der Zimmermann wüsste, wie Jesse Laymon dorthin gekommen war, sondern zeigte ihm stattdessen die Namensliste und hakte ab, wer mit wem gekommen und wer gefahren war.
Der Zimmermann hatte Jesse zwar gesehen, wusste aber nicht, wie sie dorthin gekommen war. Als sie zu Strykers Truck hinausgingen, fragte Virgil: »Hat irgendwer Jesses Truck gesehen? Oder sie mitgenommen?«
»Ein Mann hat sie gesehen, und er meint, dass ihr Truck ganz am Ende der Reihe gestanden hätte. Aber es hat niemand auf Autos geachtet, alle haben sich das Feuer angesehen.«
»Willst du wissen, was ich tun würde?«, fragte Virgil.
Stryker schüttelte den Kopf. »Nach dem, was gestern passiert ist, bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
»Ich würde einen von deinen Deputys Williamson beobachten lassen, einen Bill Judd und einen Jesse. Wenn es bei zweien von ihnen so aussieht, als hätten sie vor, gemeinsame Sache zu machen …«
»Wenn ich sie überwachen lasse, weiß das innerhalb von fünfzehn Minuten jeder im ganzen County«, sagte Stryker. »Die drei eingeschlossen.«
»Besser, als dass es noch mehr Tote gibt«, sagte Virgil.
»Virgil, lass mich diese Sache hier zu
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