Blinder Hass
war’s dann wohl mit Ihnen beiden?«
»Ja. Als er im Gefängnis war, bin ich ausgezogen und hab mir eine Nummer geben lassen, die nicht im Telefonbuch steht. Aber ich hab ihn trotzdem wiedergesehen. Wir hatten ein paar gemeinsame Freunde. Aber die Sache mit uns war vorbei, er hat sich nie mehr bei mir blicken lassen«, sagte Johannsen. »Das war auch gut so. Sonst hätte er mich früher oder später umgebracht.«
»Hat er mal seine Eltern erwähnt?«
»Er hat erzählt, seine Mom wär bei einem Autounfall ums Leben gekommen«, erwiderte sie. »Er hat aber nie gesagt, wer sein Dad war.«
»Und seine Adoptiveltern … ein Ehepaar namens Williamson?«
Sie schüttelte den Kopf »Oh … ich hab gedacht, bei denen wär er in Pflege gewesen oder so. Die hatten ihn adoptiert?«
»Ja, schon als Baby.«
»Meine Güte, das hab ich nicht gewusst«, sagte sie. »Das macht alles ja noch schlimmer.«
»Schlimmer?«
»Ja. Ich hab sie zwei- oder dreimal gesehen, als ich mit Bill dort war. Wir haben uns da ab und zu Bier geholt - er hatte einen Schlüssel. Aber das waren absolute Arschlöcher.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Als ob sie noch für die Sklaverei wären«, sagte sie. »Die haben ihm ständig erzählt, was er ihnen alles schuldig wär - an Geld. Mit vierzehn ist Bill abgehauen. Er lebte auf der Straße, als ich ihn kennen gelernt hab. Er ist abgehauen, weil er die ganze Zeit in deren Laden arbeiten sollte. Die haben gesagt, er solle was für seinen Unterhalt tun, aber die meisten Kinder von dreizehn oder vierzehn brauchen nicht sechzig Stunden die Woche zu arbeiten. Das haben sie von ihm verlangt. Ohne Quatsch, das waren Arschlöcher.«
»Hat Bill sich je Todd Williamson genannt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wir kannten ihn nur als Lane - die Leute, mit denen er rumgehangen hat.«
»War er ein guter oder schlechter Kerl?«, fragte Virgil. »Ich meine, wenn er nüchtern war.«
»Wenn er nüchtern war, war er gar nicht so übel«, antwortete Johannsen. Sie sah auf ihren Daumen, an dem Zuckerguss klebte, und wischte ihn am Müllcontainer ab. »Schlimm wurde er, wenn er betrunken war. Aber das ist jetzt zwanzig Jahre her. Da war er noch ein Teenager. Wenn man in einem Laden wie dem hier arbeitet, merkt man, dass viele junge Leute Arschlöcher sind, aber viele ändern sich, wenn sie älter werden.«
»Glauben Sie, dass Bill sich verändert hat?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Er war wie ein Hund, den man zehn Jahre lang geprügelt hat. Der Hund kann nichts dafür, wenn er durchdreht.«
Sandy rief an. »Ich hab die Großmutter. Sie ist zu Hause. Ich hab ihr gesagt, sie soll nicht weggehen.«
»Rufen Sie sie noch mal an, und sagen Sie ihr, ich bin in einer halben Stunde da«, sagte Virgil.
Er verabschiedete sich von Johannsen und fuhr nach Norden. Zwanzig Minuten durch eine typische vorstädtische Gegend mit grünen Rasenflächen, rissigen Auffahrten, älteren Häusern im Ranchstil und Gebäuden mit versetzten Geschossen. Zwei langhaarige Jugendliche machten schwierige Kunststücke mit ihren Rädern.
Helen Lane, Williamsons biologische Großmutter, saß allein in ihrem Wohnzimmer und sah fern, als Virgil in die Einfahrt fuhr. Sie kam zur Tür, ließ das Fliegengitter aber geschlossen. »Ich weiß nicht, wo Todd ist, und will es auch gar nicht wissen. Er war eine Zeitlang im Gefängnis. Hat er schon wieder was angestellt?«
»Hatten Sie Probleme mit ihm?«, fragte Virgil.
»Er hat mich bestohlen. Er hat sich ins Haus geschlichen und Geld gestohlen«, sagte sie.
»Wie hat er herausgefunden, dass Sie seine Großmutter sind?«, fragte Virgil.
»Er war clever. Hatte den Grips von meiner Tochter«, sagte sie. »Ich vermute, dass die Williamsons irgendwelche Papiere hatten, vielleicht seine Geburtsurkunde.«
»Hat er je rauskriegt, wer sein wirklicher Vater war?«
Sie runzelte die Stirn. »Keiner von uns wusste, wer das war«, sagte sie. »Ich glaube nicht mal, dass Maggie es so genau wusste. Sie hat es ziemlich wild getrieben.«
»Sie haben es nie erfahren?«
»Nein. Und als sie tot war, gab es keine Möglichkeit mehr, es herauszufinden. Hier sind jedenfalls keine Männer vorbeigekommen und haben sich nach ihrem Kind erkundigt, das können Sie mir glauben.«
»Und das Baby?«
»Wurde adoptiert. Wir hatten kein Geld, und mein Mann war ständig krank. Er war Dachdecker und hatte einen kaputten Rücken«, sagte sie voller Selbstmitleid. »Ich musste immer arbeiten, und da schien
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