Blinder Hass
Röntgenaufnahmen geben müsste und dass sie dort nachsehen kann, aber sie ist sich ihrer Sache ziemlich sicher. Außerdem glaubt sie, dass sie den hinteren Teil eines Schädels gefunden hat, sieht aus wie eine kleine Untertasse, Stücke von zwei Kniescheiben und vielleicht einige Hand- und Fußknochen.«
»Also ist er tot«, sagte Virgil.
»Ich glaube ja. Die DNA wird es uns genau sagen, falls sie mit Hilfe des Knochenmarks eine bestimmen können. Der Brandexperte sagt, dass ein Brandbeschleuniger verwendet wurde, etwa zehn bis zwanzig Gallonen Benzin, weil sich das Feuer zunächst breitflächig durch das Haus gefressen hat, statt nach oben zu brennen«, sagte Stryker. »Er meint, dass es sich sehr viel schneller zur Seite als nach oben ausgebreitet hat, und bei dem vielen Holz hätte es eigentlich schneller nach oben gehen müssen.«
»Wie kann er das feststellen?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls hat er das gesagt, also haben wir’s mit einem weiteren Mord zu tun.«
»Hm«, brummte Virgil.
»Was soll das heißen?«, fragte Stryker.
»Bist du da oben? Am Haus von Judd?«, fragte Virgil.
»Ja. Ich werd wohl noch’ne Weile hier sein.«
»Ich komm gleich«, sagte Virgil.
Joan zeigte mit der Gabel auf ihn. »Bill Judd?«
»Ja.« Virgil tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. »Die glauben, dass sie vielleicht ein paar Überreste gefunden haben. Ich muss los.«
»Wenn ich forensische Anthropologin wär, würde ich ja mitkommen und helfen«, sagte sie. »Aber leider versteh ich weder was von Forensik noch von Anthropologie, und mit Leichen hab ich’s auch nicht so sehr.«
»Was machen Sie denn eigentlich?«, fragte Virgil.
»Ich betreibe die Familienfarm«, antwortete sie. »Fünfhundert Hektar Mais und Sojabohnen nördlich der Stadt.«
»Das ist aber eine sehr große Farm für so eine hübsche kleine Frau«, sagte Virgil.
»Sie können mich mal«, erwiderte sie.
»Danke, Ma’am. Hätten Sie vielleicht Lust, heute Abend mit nach Worthington zu kommen?«, fragte Virgil. »Tijuana Jack’s ist gar nicht so schlecht.«
»Vielleicht«, sagte sie. »Geben Sie mir Ihre Handynummer. Ich muss heute Nachmittag nach Sioux Falls fahren, um ein paar Ersatzteile zu besorgen. Wenn ich rechtzeitig zurück bin. Mexikanisch ist okay.«
Ganz zufrieden mit sich, fuhr Virgil durch die Stadt und zum Buffalo Ridge hinauf, durch das Parktor und dann um den Hügel herum zu Judds Haus. Er war überrascht, als er sah, was noch davon übrig war. Bei den meisten Feuern brennt bloß ein Teil des Hauses ab, und zumindest ein bis zwei Wände bleiben stehen. Von der Judd-Villa war nur noch das Fundament übrig, brüchig und verkohlt, und ein Loch, gefüllt mit verbogenen Metallteilen, Steinen und Asche.
Stryker und einer seiner Deputys, ein älterer dicker Mann mit lockigem blondem Haar, sprachen mit einem dritten Mann, der das typische Notizbuch eines Reporters in der Hand hielt. Ein Mann im Anzug starrte in das Loch, und drei weitere Leute scharrten unten herum wie Archäologen an einer Ausgrabungsstätte.
Virgil ging zu dem Loch, blickte hinein und konnte Leitungen und eine Klimaanlage erkennen, zwei Heizöfen, etwas, das wie die bröckeligen Überreste eines Kamins aus dem Erdgeschoss aussah, drei Heißwassertanks, ein paar Waschbecken, drei Toilettenschüsseln und einen Haufen verbogener Rohre. In der Nähe der Leute, die unten am Boden gruben, stand ein völlig demolierter Rollstuhl. Der Mann im Anzug, wurde Virgil plötzlich klar, war Bill Judd junior.
Virgil ging zu Stryker hinüber. »Wie zum Teufel haben die hier denn überhaupt was finden können?«
»Das ist Todd Williamson«, sagte Stryker, »der Redakteur des Bluestem Record . Und das ist Big Curly Anderson.« Dabei signalisierte er Virgil, er möge seine Zunge hüten.
»Little Curly hab ich bereits gestern Abend kennen gelernt«, sagte Virgil, während er beiden Männern die Hand schüttelte. Big Curly hatte kleine und zarte Hände wie eine Frau. Die Hände von Williamson hingegen waren hart und schwielig, als würde er selbst die Druckerpresse betätigen.
»Das ist mein Sohn«, erklärte Big Curly.
»Um deine Frage zu beantworten, das war eigentlich nur ein Glücksfall«, sagte Stryker. »Sie haben den Rollstuhl da unten gesehen und angefangen, dort nach einer Leiche zu graben, und da haben sie dieses Stück Operationsdraht gefunden. Jetzt versuchen sie herauszufinden, wie es passieren konnte, dass der Rollstuhl oben auf den ganzen Trümmern und
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