Blinder Hass
kamen sie am Gebäude der Zeitung vorbei, in dem sich außerdem ein Büro von JUDD ENTERPRISES und eins von WILLIAM JUDD JR., INVESTITIONEN, befanden, sowie an einer Mischung aus Friseur- und Kosmetiksalon.
Das Thermometer der Bank zeigte dreißig Grad an, als sie darunter hindurchgingen und die Eingangshalle betraten. Der Banker war ein weißhaariger Mann mit einem gepflegten Schnurrbart, und der Anwalt war ebenfalls ein weißhaariger Mann mit gepflegtem Schnurrbart. Ein mexikanisch aussehender Mann in Jeans und T-Shirt und mit einem schwarzen Schnurrbart stand mit einem Werkzeugkasten neben ihnen. Auch Stryker wurde so langsam zu einem weißhaarigen Mann mit gepflegtem Schnurrbart. Wenn Virgil sich einen Schnurrbart wachsen ließe, würde er aussehen wie alle anderen in dieser Monokultur von deutschskandinavischen Weißen, auf die mittlerweile zur allseitigen Erleichterung ein bisschen Salsa gekippt wurde.
Der Banker nahm die richterliche Verfügung an sich, ging allen voran in den Tresorraum und erklärte, da Judd die notwendigen Schlüssel gehabt habe und man diese in dem abgebrannten Haus nicht gefunden hätte, müsse man das Fach aufbohren und sich die Kosten dafür aus der Vermögensmasse zurückerstatten lassen. Das Aufbohren des Fachs nahm drei Minuten in Anspruch. Der Banker gab dem Mexikaner einen Zwanziger, und der Mann nahm sein Werkzeug und ging.
Bei dem Bankfach handelte es sich um eins von den größeren, in das schätzungsweise drei Brathähnchen reingepasst hätten. Der Banker brachte die Box in eine Privatkabine, doch da sie nicht aus privaten Gründen da waren, standen alle darum herum, als der Deckel aufgeklappt wurde.
»Heilige Scheiße«, sagte Judd mit einer gewissen Ehrfurcht. Die Box war voller Papiere, und obendrauf lagen zwei Schichten Geldscheine. »Nicht so viel, wie Sie vielleicht meinen«, sagte der Banker mit ernster Stimme und glänzenden Augen. »Hundertdollarnoten in Bündeln à zehntausend Dollar … fünfzehn, achtzehn, zwanzig. Zweihunderttausend in bar.«
»Warum wollte er zweihunderttausend in bar haben?«, fragte Virgil Judd.
»Wollte nicht plötzlich ohne dastehen«, sagte Judd.
Sie stapelten das Geld neben der Box auf. Judd zog einen Plastikstuhl heran, setzte sich hin und starrte auf das Geld, während der Banker und der Anwalt in den übrigen Papieren wühlten - Versicherungspolicen, Urkunden, Fotos und zwei Kästen mit Schmuck.
Das war am Nachmittag, an dem sich noch einiges andere ereignete, wovon sich jedoch nichts als wichtig erwies.
Am Abend saß Joan Carson bei Tijuana Jack’s im Kerzenlicht und sah fantastisch aus. Sie trug ein Sommerstrickkleid aus Baumwolle in der Farbe von Rohleinen, dazu eine Kette mit großen Jadeperlen, die perfekt zu ihren Augen passte. Auf ihrer kurzen Nase hatte sie einige zarte Sommersprossen, und Virgil bemerkte erst jetzt, dass sie einen angeschlagenen Zahn hatte, was ihr etwas Jungenhaftes verlieh.
Sie beugte sich vor, wobei ihr Kleid sich so weit öffnete, dass ihr Brustansatz zu sehen war, obwohl Virgil ihr konsequent in die Augen blickte. »Arschloch?«, flüsterte sie.
»Das hat er gesagt«, flüsterte Virgil zurück. Dann lachte er tief und herzhaft und fuhr fort: »Judd junior setzte sich hin und starrte auf das Geld, zweihunderttausend Dollar, das vor seiner Nase auf dem Tisch lag. Er sabberte regelrecht. Dann sagt der Anwalt, Turner, als ob es ein großes Rätsel wäre: ›Ich finde hier kein Testament.‹ Und Judd springt auf und brüllt: ›Arschloch!‹«
Sie kicherte und rieb sich die Nase. Ihre Augen leuchteten amüsiert.
»Ich hab schon geglaubt, wir müssten ihn niederknüppeln, damit er Turner nicht an die Gurgel springt«, fuhr Virgil fort. »Turner sagt immer wieder: ›Ich war’s nicht, ich war’s nicht‹, und Judd rennt auf und ab und schreit: ›Arschloch! Arschloch!‹ Und der Typ von der Bank besorgt sich alle Quittungen, und es stellt sich raus, dass der alte Judd vor einer Woche an dem Fach war. Wir haben mit der Frau vom Tresorraum gesprochen, und sie hat gesagt, er hätte keine Privatkabine verlangt, weil er bloß ein Dokument rausnehmen wollte. Sie hat gesehen, dass es in einem großen, beigefarbenen Umschlag war, und wir alle glauben, dass es das ominöse Testament war.«
»Arschloch!«, sagte sie. »Ich hätte hundert Dollar gegeben, um dabei zu sein. Was war sonst noch in der Box?«
»Juristische Papiere, Urkunden und Versicherungspolicen. Das Haus war für achthunderttausend
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