Blinder Hass
Truthahn, schütterem Haar und kleinen schwarzen Augen. Er musste an die sechzig sein, dachte Virgil.
Judd nickte Williamson zu, warf einen kurzen Blick auf Virgil und fragte Stryker: »Was wirst du in dieser Sache unternehmen, Jim? Wenn das da unten Dad ist und wenn der Knabe vom Brandschutz recht hat, dann ist es Mord. Was wirst du tun?«
»Ermitteln«, sagte Stryker.
»So wie du im Fall der Gleasons ermittelst?« Judd schüttelte den Kopf, wobei der Kehllappen unter seinem Kinn heftig in Bewegung geriet. »Nun mach mal halblang, Jim. Entweder du ziehst das SKA hinzu oder … Verdammt noch mal, du wirst das SKA hinzuziehen.«
Stryker deutete mit dem Kopf auf Virgil. »Darf ich dir Virgil Flowers vom Staatskriminalamt von Minnesota vorstellen?«
Judd drehte ruckartig den Kopf in Virgils Richtung, betrachtete ihn einen Augenblick, insbesondere sein T-Shirt, dann sagte er: »Sie machen ja nicht gerade viel her.«
Virgil lächelte. »Von Verdächtigen lasse ich mich nicht so gern beleidigen«, sagte er. »Das haben im Laufe der Jahre schon zu viele versucht.«
»Was reden Sie da für einen Scheiß?«, fragte Judd.
»Nun ja, im Augenblick sind Sie so ziemlich der einzige Verdächtige, den wir haben«, sagte Virgil. »In so einer Situation fragt man nämlich immer, wer erbt. Und soweit ich weiß, sind das Sie .«
Judd sah Virgil drei geschlagene Sekunden lang an, dann wandte er sich Williamson zu. »Das bringen Sie nicht in die Zeitung.«
Williamson schüttelte den Kopf. »Ich arbeite nicht für Sie, Bill. Ich habe für Ihren Vater gearbeitet, und jetzt arbeite ich für das Unternehmen Ihres Vaters. Wenn das Unternehmen auf Sie übergeht, bin ich in null Komma nichts da raus. Bis dahin arbeite ich für das Unternehmen.«
»Dann sollten Sie sich lieber bis Ende nächster Woche einen neuen Job suchen«, sagte Judd.
»Wir müssen uns das Testament Ihres Vaters ansehen«, sagte Virgil zu Judd. »Wir nehmen an, dass es in einem Bankfach liegt. Wir werden uns eine richterliche Verfügung besorgen, um das Fach zu öffnen, da das Testament für diese Ermittlungen relevant sein könnte. Außerdem wollen wir wissen, was sonst noch in dem Safe ist.«
Judd nickte. »Von mir aus, kein Problem. Wir holen Bob Turner, reden mit dem Richter und knacken das Fach. Damit endlich was passiert.«
»Kann ich mitkommen?«, fragte Williamson.
»Nein«, sagte Stryker.
Williamson grinste. »Man kann ja mal fragen. Verdammt, ist das heiß hier.«
Auf dem Weg zu ihren Fahrzeugen blieben sie noch einmal an dem ausgebrannten Loch stehen, und Stryker rief hinunter: »Irgendwas Neues?«
Eine pummelige Frau in einem gelben Schutzanzug und mit Gesichtsmaske richtete sich auf, wischte sich mit einem Papierhandtuch den Schweiß aus dem Gesicht, warf das Papier in einen Müllbeutel. »Die Hitze bringt mich um«, sagte sie.
Alle grinsten mitleidig zu ihr hinunter, und sie fügte hinzu: »Sonst gibt’s keine Probleme, ehrlich. Aber wir haben die Handwurzelknochen gefunden, und die sind intakt. Sie lagen unter einem Stück Stahlblech und waren wohl deshalb ein wenig geschützt. Das müsste für eine DNA-Analyse ausreichen. Und wenn Bill junior uns eine Probe gibt, können wir eine sichere Identifizierung erhalten.«
»Veranlassen Sie das«, sagte Stryker.
»Die würd ich gern mal vernaschen«, sagte Big Curly auf dem Weg den Hügel hinunter und meinte die Frau in dem gelben Schutzanzug.
Stryker nickte. »Ich werd Mrs. Curly einen Tipp geben.«
Einer der Vorteile und gleichzeitig auch Nachteile am Leben in einer Kleinstadt war, dass alle über alles Bescheid wussten.
Der Richter wusste über den Fall Judd ungefähr genauso viel wie Virgil. Er hämmerte auf dem Computer seiner Sekretärin eine Verfügung und druckte sie aus.
»Das war’s schon«, sagte er und gab Stryker das Papier.
Stryker rief bei der Wells-Fargo-Zweigstelle an und sprach mit dem Manager, der sagte, er würde sie erwarten. Judds Anwalt sagte, er würde rüberkommen.
»Dann mal los«, sagte Stryker.
»Los« bedeutete zu Fuß gehen, die Bank war nämlich nur drei Blocks entfernt. Man ging zwei Blocks durch ein älteres Wohngebiet und landete dann mitten im Geschäftsviertel auf der Main Street. Als sie an dem Drugstore vorbeikamen, stieg ihnen der Geruch von Popcorn in die Nase. Judd blieb stehen, ging in den Laden und kam mit einer Tüte Popcorn zurück. Er mampfte das Zeug, als wäre er kurz vorm Verhungern. Ein Stück weiter die Straße hinunter
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